Wasdunkelbleibt
Netz. Die Zeitungen meldeten bereits neue aufsehenerregende Ergebnisse im Fall x 03 . Auf Twitter schrieb der Reporter des Computermagazins:
›Breaking news: Defacing-Fall weist auf keinen Unbekannten.‹ Der Link führte zu einer verstiegenen Geschichte über einen kalifornischen Hacker, der sich x 03 nannte. Der Artikel war mit Simon Mossbach unterzeichnet.
»Der kann es ja wohl nicht sein«, sagte Freiflug laut zu sich selbst. Dennoch forschte er nach. Zwanzig Minuten später entdeckte er einen Artikel in einem kanadischen Hackerblog, wo x 03 einen Gastkommentar schrieb.
Es gab jemanden mit dem Namen x 03 . Konnte Zufall sein. Oder Absicht. Eine heimtückische Verwirrungstaktik. Freiflug nahm sein Handy und rief Mossbach an.
»Können wir uns treffen? Sofort?«
Mossbach lachte. »Sie haben’s aber eilig.«
»Im Bosporus. Das ist der türkische Imbiss in der Sandstraße.«
42
Freiflug bestellte einen Döner und eine Fanta. Er saß ganz hinten im Restaurant an einem Plastiktisch, dessen Platte wackelte, und verlor sich in der Betrachtung seiner Finger. Warum er sich mit dem Reporter treffen wollte, war ihm selbst nicht klar. Wahrscheinlich ging es ihm nur darum, seinen Gedanken zuzusehen, während sie sich einem anderen mitteilten. Verdammt, wie Nero ihm fehlte. Mit ihm konnte er sich austauschen, ohne kalkulieren zu müssen. Da war keine Vorsicht vonnöten.
Mossbach trat ein. Er ließ sich ein Bier geben und kam zu Freiflugs Tisch. Seine blauen Augen leuchteten sein Gegenüber geradezu aus. »Na?«, fragte er.
»Grüß Gott«, sagte Freiflug. Mit einer ungeduldigen Handbewegung versuchte er, die Nervosität beiseite zu wischen. Dabei stieß er an das Fantaglas. Mossbach packte zu und hielt es fest.
»x 03 ist ein amerikanischer Hacker. Eine schillernde Figur. Sein Alter kann man nur ahnen. Ich schätze ihn auf Anfang bis Mitte 30. Keinesfalls älter. Er trat zum ersten Mal vor 15 Jahren in Erscheinung. Sein bevorzugtes Ziel sind Pharma- und Mineralölfirmen. Wen wundert’s: Da ist am meisten finanzieller Schaden anzurichten. Die betroffenen Unternehmen, die sich überhaupt als Geschädigte zur Staatsanwaltschaft getraut haben, beziffern den Schaden auf mehrere Millionen Dollar.«
Freiflug pfiff durch die Zähne.
»Bei so einem Schuldenkonto tut x 03 gut daran, unerkannt zu bleiben. Vermutlich ist er ein ganz unscheinbarer Arbeitnehmer. Muss nicht mal hauptberuflich IT-Mann sein. Er hat einfach eine funktionsfähige Tarnung. Er bleibt so lange unsichtbar, bis die Bombe platzt. Dann ist er längst aus dem System raus. Vom Prinzip her simpel, aber nicht einfach zu bewerkstelligen.« Mossbach trank von seinem Bier. »Die einschlägigen Magazine und Blogs lecken sich die Finger nach Beiträgen von x 03 . Irgendwie hat der Kerl es geschafft, zum Medienstar zu werden, obwohl ihn keiner kennt. Er tritt an den entscheidenden Schnittstellen in Erscheinung und hinterlässt seine Duftmarke. Danach verblasst sein Schatten.«
»Was war sein letzter Hack?«
»Shell. Verraten Sie es nicht weiter. Interessanter ist, wann er dort einbrach: vor drei Jahren.«
»Hoppla. Dann ist er seither inkognito unterwegs.«
»Scheint so. x 03 kann warten, bis sich die richtige, die gute, die alles versprechende Chance zeigt. Soweit klar?«
Freiflug nickte. Er kam sich vor wie ein Schaf. Dieser Wikinger mit seinem Bier machte ihn allein durch seine körperliche Dominanz fertig.
»In den einschlägigen Chats ist x 03 so etwas wie ein Guru. Ein Mysterium. Jeder möchte gern dem großen x 03 begegnen. Man hört sich um. Nur ganz wenige wissen, in welchen Chatrooms er unter seinem echten Hackernamen firmiert. Ich nehme an, er ist mit verschiedenen Identitäten im Netz unterwegs.«
»Fahnden die Behörden nach ihm?«
»Es gab mehrere Anläufe. Das FBI hat sich aber wohl schnell überfordert gefühlt. Ich habe ein paar Informanten in den USA sitzen.«
»Okay.« Freiflug biss endlich in seinen Döner. Der war längst kalt. Egal. »Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass dieser Spuk namens x 03 höchstpersönlich beim Landeskriminalamt in München vorbeigeschaut hat.«
»Absolut nicht.« Mossbach trank sein Bier aus. »Was haben Sie?«
»Einen Deal. Sie bekommen die Story exklusiv. Aber wir müssen noch warten.«
»Das können Sie doch gar nicht entscheiden. Ihr Boss hätte Ihnen ja am liebsten schon während der Pressekonferenz den Kopf abgerissen.«
Freiflug hatte nicht die geringste Erfahrung mit Situationen wie
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