Wasdunkelbleibt
dieser. Mossbach kam aus einer ihm fremden Welt. Unerwartet hatte Freiflug Lust, diesen Job auszuprobieren. Als Journalist für Computertechnik und Internetsicherheit. Er konnte ganz gut schreiben. Jedenfalls allgemeinverständlich. Falls er die Angelegenheit x 03 nicht überlebte, würde er vielleicht irgendwo in der Medienzunft unterkommen. Mossbach hatte ihm eben eine eindeutige und nützliche Information zugeschanzt. Jemand hatte sich x 03 als Pseudonym ausgesucht. Und Dv 0 ttny damit verkleidet. Oder hatte Dv 0 ttny das selbst getan?
»Sagt Ihnen rekinom was? Oder Dv 0 ttny?«
Mossbach beugte sich vor. Seine Augen mutierten zu Saugrüsseln.
Freiflug diktierte ihm Keas Handynummer. »Falls Sie die Dame dazu kriegen, Ihnen was zu erzählen …«
43
»Sie sind eine Kämpfernatur«, sagte der Arzt. Er saß Nero gegenüber und schlug entspannt die Beine übereinander.
Nero trug den Pyjama, den Kea ihm mitgebracht hatte, und fühlte sich um einiges besser. Mehr er selbst. Falls von diesem Selbst etwas übrig war. »Was meinen Sie?« Das Gespräch im Dienstzimmer des Arztes gab Nero Rätsel auf. Als könne sein Kopf nicht schnell genug mitdenken. Er saß in einem Ledersessel, vor ihm stand ein Schreibtisch aus dunklem Holz, dahinter saß der Arzt. Auf dem Schreibtisch lag absolut nichts, außer einem einzigen Kugelschreiber. Ein billiger, mit einem Werbeaufdruck. Sweet September. Das klang nach Chanson und nicht nach Klinik.
»Sie leiden an einem akuten Burnout-Syndrom«, sagte der Arzt. »Sie haben gerackert und geschuftet, gebrannt für die gute Sache. Wann Sie angefangen haben, unter Ihrem enormen Einsatz zu leiden, ist Ihnen vermutlich nicht bewusst. Das ist ganz typisch.«
»Ich …« Nero wollte lieber wissen, wie es seinem Herzen ging.
»Haben Sie sich oft für unentbehrlich gehalten? Waren Sie überzeugt, nur Sie allein könnten eine Aufgabe korrekt ausführen?«
»Nein …«
»Haben Sie sich und Ihren Mitmenschen hohe Standards gesetzt?«
Neros Aufmerksamkeit löste sich. Das geschah ständig. Er war nicht imstande, einem Gespräch länger als fünf Minuten zu folgen.
»Leiden Sie an der Distanz, die Sie zu anderen Menschen aufgebaut haben?«
»Distanz?«
»Haben andere Sie mitunter gefragt, was mit Ihnen los sei?«
Kea. Immer wieder Kea. Ihr Gesicht sah ihn an, aus jedem anderen menschlichen Gesicht. Immer blickte da Kea hervor, ernst, umrahmt von dunklem Haar und Augen, die ein wenig zu weit auseinander standen. Die Augen eines Menschen, der viel durchmachen musste. Nicht mehr bereit war, zurückzustecken oder andere Maßstäbe als die eigenen zu akzeptieren.
»Sie sind ein Idealist und gehen zwanghaft mit sich selbst um. Ich würde Sie gerne nach Salzburg überweisen. Sobald wir Ihr Herz unter Kontrolle haben, können dort im Universitätsklinikum beide Probleme behandelt werden: Ihre Pumpe und Ihr Umgang mit sich selbst.«
»Aber …«
»Ja?«
Nero wollte sagen, er habe keine Zeit, er müsse arbeiten, Woncka überzeugen, das Defacing aufklären, die Sache mit Kea in Ordnung bringen. Überhaupt alles in Ordnung bringen. Er hasste den Gedanken, dass durch seinen Zusammenbruch die Dinge, mit denen er sich befasst hatte, im völligen Chaos festgefroren waren.
»Ein Burnout ist keine Krankheit im üblichen Sinne.« Der Arzt sah Nero freundlich an. Er war ein dunkler Typ, hatte etwas Italienisches an sich. Italien. Nero versuchte seit Jahren, Italienisch zu lernen. »Aber es kann Krankheiten auslösen, dramatische Situationen, wie Sie sie durchlebt haben. Nach dem ersten Herzinfarkt laufen alle Patienten Gefahr, einen zweiten zu erleiden, und zwar innerhalb eines Jahres.« Er hob die Stimme. »Der zweite Infarkt ist in der Regel um einiges stärker und häufig tödlich.« Das Lächeln in seinem Gesicht verblasste. »Sie haben einen Schuss vor den Bug bekommen, Herr Keller.«
Als Nero kurz darauf auf den Gang trat und langsam zu seinem Zimmer zurückging, in das man ihn erst am Morgen verlegt hatte, achtete er auf die Gefühle in seinem Brustkorb. Habe ich überhaupt ein Herz?, dachte er. Er spürte nichts Ungewöhnliches. Nur Schwäche, als sei er betäubt, und das war vermutlich der Fall bei all den Medikamenten, die sie in ihn hineinpumpten.
»Hallo, Nero!«
Nero sah zur Seite. Ulf Kröger stand da, mit einer Schachtel Ferrero Küsschen unter dem Arm.
»Entschuldige, Ulf. Ich habe dich nicht gesehen.« Nero reichte seinem Kollegen die Hand. Krögers Finger waren schlaff und
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