Washington Square
Europa zu sehen«, sagte Catherine.
|180| »Du solltest aber Lust haben, meine Liebe; und womöglich erweicht es deinen Vater.«
Catherine, die sich ihrer Widerspenstigkeit bewußt war, erwartete wenig davon und konnte von dem Gedanken nicht loskommen, daß sie ihrem Vater übel mitspielen würde, wenn sie ins Ausland reiste und doch beständig blieb. »Findest du, es wäre eine Art Betrug?« fragte sie.
»Will denn er dich nicht hinters Licht führen?« rief Morris. »Es wird ihm ganz recht geschehen. Ich glaube wirklich, es wäre besser, wenn du fahren würdest.«
»Und so lange nicht heiraten?«
»Heiraten, wenn du zurückkommst. Du kannst dein Hochzeitskleid in Paris kaufen.« Und daraufhin setzte Morris in höchst liebenswürdigem Ton seine Ansicht über die Angelegenheit auseinander. Es wäre gut, wenn sie mitkäme; dadurch würden sie sich völlig ins Recht setzen. Es würde zeigen, daß sie vernünftig und zu warten bereit seien. Da sie doch einander nun einmal so sicher seien, könnten sie es sich erlauben zu warten – was hätten sie denn zu befürchten? Falls es auch nur die Spur einer Aussicht gäbe, daß sie ihren Vater durch die Reise günstig beeinflussen könne, dann sollte das die Frage entscheiden; denn schließlich sei Morris nicht geneigt, die Ursache dafür zu sein, daß sie enterbt würde. Es sei nicht seinetwegen, sondern wegen ihr und wegen ihrer Kinder. Er sei bereit, auf sie zu warten. Es sei zwar hart für ihn, aber er sei dazu imstande. Und da drüben, inmitten reizvoller Gegenden und prachtvoller Baudenkmäler, würde der alte Herr vielleicht erweicht werden; so etwas soll einen begütigenden Einfluß ausüben. Er könnte gerührt werden durch ihre Sanftmut, ihre Geduld, ihre Bereitschaft, jedes Opfer zu bringen außer jenem einen; |181| und wenn sie sich eines Tages nachdrücklich an ihn wenden würde, an irgendeinem berühmten Ort – sagen wir in Italien, an einem Abend; in Venedig, in einer Gondel, bei Mondschein – wenn sie es ein wenig geschickt anpacken würde und die richtige Saite treffe, vielleicht würde er sie dann in seine Arme schließen und ihr sagen, daß er ihr verzeihe. Catherine war ungemein beeindruckt von dieser Auffassung der Angelegenheit, die aufs hervorragendste des glänzenden Verstandes ihres Liebhabers würdig erschien, wenngleich sie ihr mit einigem Mißtrauen gegenüberstand, soweit sie von ihren für die Ausführung nötigen Kräften abhing. Der Gedanke, in einer Gondel bei Mondschein »geschickt« sein zu müssen, schien ihr Umstände zu enthalten, die ihr Begriffsvermögen nicht fassen konnte. Doch es wurde zwischen ihnen vereinbart, daß sie ihrem Vater sagen solle, sie sei bereit, ihm gehorsam überall hin zu folgen, wobei sie in Gedanken die Einschränkung machte, daß sie Morris Townsend mehr denn je liebe.
Sie ließ den Doktor wissen, daß sie zur Abreise bereit sei, und er traf eiligst entsprechende Vorbereitungen. Catherine mußte sich von vielen verabschieden, doch für uns sind nur zwei dieser Personen wirklich von Interesse. Mrs. Penniman hatte eine sehr scharfsinnige Ansicht von der Reise ihrer Nichte gefaßt; es kam ihr sehr angebracht vor, daß die von Mr. Townsend ausersehene Braut ihren Geist noch durch eine Auslandsreise auszuschmücken wünsche.
»Du läßt ihn in guten Händen zurück«, sagte sie und drückte ihre Lippen auf Catherines Stirn. (Sie liebte es ausnehmend, Leute auf die Stirn zu küssen; es war ein unwillkürlicher Ausdruck von Sympathie mit dem Sitz des Geistes.) »Ich werde ihn häufig treffen; ich werde |182| mir vorkommen wie eine der Vestalinnen von einst, die die heilige Flamme hüten.«
»Du nimmst es bewundernswert hin, daß du nicht mit uns kommen kannst«, sagte Catherine, die sich nicht anmaßte, diesen Vergleich zu überprüfen.
»Mein Stolz hält mich aufrecht«, sagte Mrs. Penniman und schlug leicht gegen das Mieder ihres Kleides, das stets eine Art metallenen Klang von sich gab.
Catherines Abschied von ihrem Liebhaber war kurz, und nur wenige Worte wurden gewechselt.
»Bist du noch genau derselbe, wenn ich zurückkomme?« fragte sie; doch diese Frage war keine Frucht des Zweifels.
»Derselbe – nur noch mehr«, sagte Morris lächelnd.
Es liegt nicht in unserer Absicht, Dr. Slopers Reiseverlauf in der östlichen Hemisphäre im einzelnen zu erzählen. Er machte die »Grand Tour« durch Europa, reiste mit erheblichem Aufwand und stieß (wie das bei einem Mann von so hoher Kultur zu erwarten war)
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