Washington Square
auf so viel Kunst und Altertümer, die ihn interessierten, daß er nicht nur sechs Monate im Ausland blieb, sondern zwölf. Mrs. Penniman richtete sich am Washington Square auf seine Abwesenheit ein. Sie erfreute sich ihrer unbestrittenen Herrschaft in dem leeren Haus und bildete sich ein, daß sie es für die Freunde des Hauses angenehmer mache, als es während der Anwesenheit ihres Bruders war. Zumindest Morris Townsend wollte es vorkommen, daß sie es einmalig anziehend mache. Er war weitaus ihr häufigster Besucher, und Mrs. Penniman liebte es, ihn zum Tee einzuladen. Er hatte seinen Sessel – einen der allerbequemsten – am Kamin im hinteren Salon (wenn die großen Mahagoni-Schiebetüren mit silbernen Knäufen und Gelenken, die diesen Raum von dem eher steifen Nachbarzimmer |183| trennten, geschlossen waren), und Zigarren pflegte er im Arbeitszimmer des Doktors zu rauchen, wo er häufig eine Stunde damit verbrachte, die ungewöhnlichen Sammlungen des abwesenden Eigentümers durchzugehen. Wie wir wissen, hielt er Mrs. Penniman für ein Dummerchen; doch er selbst war kein Dummerchen, und als junger Mann von luxuriösem Geschmack und dürftigen Geldmitteln fand er das Haus ein perfektes Schloß für Müßiggänger. Es wurde für ihn ein Klub mit einem einzigen Mitglied. Mrs. Penniman sah ihre Schwester jetzt weit seltener, als wenn der Doktor zu Hause war; denn Mrs. Almond hatte sich bewogen gefühlt, ihr zu sagen, daß sie ihre Beziehung zu Mr. Townsend mißbillige. Es stehe ihr nicht zu, mit einem jungen Mann, von dem ihr Bruder so wenig hielte, so freundschaftlich umzugehen, und Mrs. Almond habe ihre Leichtfertigkeit überrascht, mit der sie Catherine in eine höchst unglückselige Verlobung hineinmanövriert habe.
»Unglückselig!« rief Lavinia. »Er wird ihr ein reizender Ehemann sein!«
»Ich halte nichts von reizenden Ehemännern«, sagte Mrs. Almond. »Ich halte nur etwas von guten. Wenn er sie heiratet und sie erbt Austins Geld, kommen sie vielleicht miteinander aus. Er wird dann ein müßiger, liebenswürdiger, selbstsüchtiger und zweifellos leidlich gutmütiger Kerl sein. Doch wenn sie das Geld nicht bekommt und er sich an sie gebunden findet, dann möge ihr der Himmel gnädig sein! Townsend wird es nicht sein. Um seiner Enttäuschung willen wird er sie hassen und sich rächen; er wird erbarmungslos und grausam sein. Wehe der armen Catherine! Ich empfehle dir, dich ein wenig mit seiner Schwester zu unterhalten; schade, daß Catherine nicht
sie
heiraten kann!«
|184| Mrs. Penniman hatte keinerlei Verlangen nach einem Gespräch mit Mrs. Montgomery, deren Bekanntschaft zu pflegen sie sich keine Mühe gab; und die Wirkung dieser bestürzenden Vorhersage über das Schicksal ihrer Nichte brachte sie nur dazu, es in der Tat jammerschade zu finden, daß Mr. Townsends großmütiges Naturell so verbittert werden sollte. Glänzender Genuß war sein Lebenselement, und wie konnte er behaglich leben, wenn sich erweisen sollte, daß nichts zu genießen da war? Es wurde eine fixe Idee von Mrs. Penniman, er könne doch noch in den Genuß des Vermögens ihres Bruders kommen, wobei sie hinreichend Scharfsinn besaß, um zu erkennen, daß ihr eigener Anspruch nur bescheiden war.
»Wenn er es nicht Catherine hinterläßt, dann gewiß nicht, um es mir zu vermachen«, sagte sie sich.
|185| 24. KAPITEL
Der Doktor hatte während der ersten sechs Monate ihrer Auslandsreise nie mit seiner Tochter über ihre kleine Unstimmigkeit gesprochen, teils aus Methode und teils, weil er über eine ganze Menge anderer Dinge nachzudenken hatte. Der Versuch, die Beschaffenheit ihrer Gefühle herauszufinden, wäre müßig gewesen ohne unmittelbare Erkundigung, denn wenn sie schon in der familiären Atmosphäre zu Hause reichlich verschlossen war, so gelang es ihr auch nicht, von den Bergen der Schweiz oder den Baudenkmälern Italiens Anregung zu gewinnen. Sie war stets die fügsame und verständige Begleiterin ihres Vaters – die alle Besichtigungen in ehrerbietigem Schweigen mitmachte, sich nie über Müdigkeit beklagte, immer bereit war, zu der von ihrem Vater am Vorabend vereinbarten Stunde aufzubrechen, keine unsinnige Kritik äußerte und nicht in gezierte Bewunderung verfiel. »Sie ist fast so intelligent wie ein Bündel Schals«, sagte sich der Doktor, wobei ihre Überlegenheit hauptsächlich darin bestand, daß das Bündel Schals manchmal verlorenging oder aus dem Wagen purzelte, während Catherine immer auf dem Posten war und
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