Washington Square
Tag?« fragte er. »Was hindert euch daran, euch so oft zu treffen, wie ihr wollt?«
Sie wandte sich einen Moment ab; in ihren Augen standen Tränen. Dann sagte sie: »Es ist besser, nur einmal in der Woche.«
»Ich sehe nicht ein, wieso das besser sein soll. Es ist so schlecht wie nur möglich. Wenn du dir erhoffst, daß mich kleine Einschränkungen dieser Art etwas kümmern, so bist du gewaltig im Irrtum. Es ist ebenso verkehrt von dir, ihn einmal in der Woche zu treffen, wie es verkehrt wäre, den ganzen Tag über mit ihm zusammenzusein. Doch das ist für mich nicht von Belang.«
Catherine versuchte, diesen Worten zu folgen, doch sie schienen auf ein unbestimmtes Grauen hinzuführen, vor dem sie zurückschreckte. »Ich glaube, wir heiraten ziemlich bald«, wiederholte sie schließlich. Ihr Vater warf ihr wieder diesen schrecklichen Blick zu, als ob sie jemand anders wäre. »Warum sagst du mir das? Es interessiert mich nicht.«
»O Vater«, brach sie aus, »kümmert es dich denn gar nicht, auch wenn du nun einmal so anderer Meinung bist?«
»Keinen Deut. Wenn du schon einmal heiratest, ist es mir völlig einerlei, wann oder wo oder warum du es tust; und wenn du meinst, du könntest deine Torheit dadurch wettmachen, daß du auf diese Art deine Flagge hißt, dann kannst du dir die Mühe sparen.«
Damit ging er. Doch am nächsten Tag sprach er von sich aus mit ihr, und sein Verhalten war etwas verändert. » |175| Heiratest du innerhalb der nächsten vier oder fünf Monate?« fragte er.
»Ich weiß nicht, Vater«, sagte Catherine. »Es ist nicht ganz einfach für uns, zu einem Entschluß zu kommen.«
»Dann schieb’ es um sechs Monate hinaus, und in der Zwischenzeit nehme ich dich nach Europa mit. Ich hätte sehr gern, daß du mitfährst.«
Es machte ihr solche Freude, nach seinen Worten vom Tag zuvor zu hören, er hätte es »sehr gern«, wenn sie etwas tun würde, und daß in seinem Herzen noch etwas von der früheren liebevollen Zuneigung war, so daß sie einen kleinen freudigen Ausruf tat. Dann aber wurde ihr bewußt, daß Morris nicht in diesen Vorschlag miteingeschlossen war und daß sie – was die Reise als solche betraf – es bei weitem vorziehen würde, mit ihm zu Hause zu bleiben. Aber sie errötete nichtsdestoweniger sorgenfreier als seit langem. »Es wäre bezaubernd, nach Europa zu fahren«, bemerkte sie und hatte den Eindruck, daß diese Feststellung nicht gerade originell war und ihr Tonfall nicht ganz so, wie er hätte sein können.
»Sehr gut; also, fahren wir. Pack’ deine Kleider ein.«
»Ich müßte es wohl Mr. Townsend sagen«, entgegnete Catherine.
Ihr Vater heftete seine kalten Augen auf sie. »Wenn du damit meinst, daß du ihn um seine Erlaubnis bitten müßtest, dann bleibt mir nur zu hoffen, daß er sie dir gewährt.«
Das Mädchen war zutiefst betroffen von dem erschütternden Klang dieser Worte; es war die berechnendste, spannungsgeladenste Bemerkung, die der Doktor je geäußert hatte. Catherine fühlte, welch große Sache es für sie unter diesen Umständen war, diese schöne Gelegenheit zu haben, ihm ihre Achtung zu erweisen; und doch |176| war da noch etwas anderes, das sie ebenso fühlte und auch unverzüglich äußerte. »Ich denke manchmal, wenn ich tue, was du so sehr mißbilligst, sollte ich nicht bei dir wohnen bleiben.«
»Bei mir wohnen bleiben?«
»Wenn ich bei dir lebe, müßte ich dir auch gehorchen.«
»Wenn das deine Theorie ist, so ist es sicher auch meine«, sagte der Doktor mit einem trockenen Lachen.
»Aber wenn ich dir nicht gehorche, sollte ich auch nicht bei dir leben – und deine Güte und deinen Schutz genießen.«
Dieses schlagende Argument rief beim Doktor unversehens den Eindruck hervor, seine Tochter unterschätzt zu haben; es schien einer jungen Frau, die Hartnäckigkeit ohne Aggressivität als Eigenschaft gezeigt hatte, sogar mehr als würdig. Doch es mißfiel ihm – mißfiel ihm zutiefst, und er brachte es dementsprechend zum Ausdruck.
»Dieser Einfall hat sehr schlechten Stil«, sagte er. »Hast du ihn von Mr. Townsend?«
»O nein; er ist von mir«, sagte Catherine eifrig.
»Dann behalte ihn für dich«, erwiderte ihr Vater, mehr denn je entschlossen, sie solle nach Europa reisen.
|177| 23. KAPITEL
Wenn Morris Townsend nicht in diese Reise einbezogen wurde, so war das auch bei Mrs. Penniman der Fall, die für eine Einladung dankbar gewesen wäre, jedoch (um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen) ihre Enttäuschung auf
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