Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Washington Square

Washington Square

Titel: Washington Square Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry James
Vom Netzwerk:
vollendet damenhafte Art trug. »Ich würde mich freuen, die Werke Raffaels zu sehen und die Ruinen – die Ruinen des Pantheons«, sagte sie zu Mrs. Almond, »aber andererseits bin ich nicht bekümmert darüber, die nächsten paar Monate am Washington Square allein und in Frieden zu sein. Ich brauche Ruhe; in den letzten vier Monaten habe ich viel durchgemacht.« Mrs. Almond fand es ziemlich herzlos, daß ihr Bruder die arme Lavinia nicht mit ins Ausland nehmen wollte; doch sie verstand gut, daß es nicht in seinem Interesse liegen konnte, seiner Tochter die beste Vertraute dieses jungen Mannes als Begleiterin mitzugeben, wenn der Zweck des Unternehmens darin lag, Catherine ihren Liebhaber vergessen zu lassen. »Wenn Lavinia nicht so unklug gewesen wäre, könnte sie jetzt die Ruinen des Pantheons besichtigen«, sagte sie sich; und sie fuhr fort, die Torheit ihrer Schwester zu bedauern, wenngleich ihr diese versicherte, sie habe Mr. Penniman wiederholt die fraglichen Überreste entsprechend beschreiben hören. Mrs. Penniman war sich völlig darüber im klaren, daß das Motiv ihres Bruders für diese Auslandsreise darin bestand, Catherines Standhaftigkeit eine Falle zu stellen; und diese Überzeugung teilte sie ganz offen ihrer Nichte mit.
    |178| »Er glaubt, daß es dich Morris vergessen läßt«, sagte sie (nunmehr nannte sie den jungen Mann nur noch »Morris«). »Aus den Augen, aus dem Sinn, du weißt ja. Er glaubt, daß all das, was du da drüben zu sehen bekommst, ihn aus deinen Gedanken verdrängen wird.«
    Catherine sah sie sehr erschrocken an. »Wenn er das glaubt, sollte ich ihm vorher meine Haltung deutlich machen.«
    Mrs. Penniman schüttelte den Kopf. »Tu das erst nachher, meine Liebe – nachdem er sich all die Mühe und die Ausgaben gemacht hat. Das ist die richtige Art, mit ihm umzugehen.« Und in sanfterem Ton fügte sie hinzu, es müsse bezaubernd sein, in den Ruinen des Pantheons an jene zu denken, die uns lieben.
    Das Mißfallen ihres Vaters hatte Catherine, wie wir wissen, eine ganze Menge tiefgründigen Kummer gekostet – Kummer der reinsten und edelsten Art, ohne eine Spur von Groll oder Haß; aber nachdem er ihre Entschuldigung dafür, daß sie ihm zur Last falle, mit so verächtlicher Knappheit zurückgewiesen hatte, kam zum ersten Mal ein Funke von Zorn in ihrem Kummer auf. Sie hatte seine Geringschätzung gespürt; sie war von ihr versengt worden; jene Äußerung über ihren schlechten Stil hatte drei Tage lang in ihren Ohren gebrannt. Während dieser Zeit war sie weniger rücksichtsvoll. Sie hatte die Vorstellung – eine ziemlich unklare, die aber ihrer Empfindung, Unrecht erlitten zu haben, wohl tat –, daß sie nunmehr von Buße frei sei und tun könne, was sie wolle. Und jetzt wollte sie Morris Townsend schreiben, er möge zu ihr auf den Platz kommen und mit ihr einen Spaziergang durch die Stadt machen. Wenn sie schon aus Rücksicht auf ihren Vater nach Europa fuhr, durfte sie sich zumindest diese Genugtuung gestatten. Sie fühlte sich gegenwärtig |179| in jeder Hinsicht freier und entschlossener; es war eine Kraft in ihr, die sie antrieb. Nun hatte endlich ihre Leidenschaft uneingeschränkt und rücksichtslos von ihr Besitz ergriffen.
    So kam denn Morris, und sie unternahmen einen ausgiebigen Spaziergang. Sie berichtete ihm unverzüglich, was geschehen war; daß ihr Vater sie – für sechs Monate – nach Europa mitnehmen wolle; sie würde völlig das tun, was Morris für das beste halte. Sie hoffte unsäglich, er werde es für das beste halten, wenn sie daheim bliebe. Es dauerte einige Zeit, ehe er sagte, was er dachte; während sie so dahinspazierten, stellte er ihr eine Unmenge Fragen. Eine davon fiel ihr besonders auf; sie kam ihr so unpassend vor.
    »Möchtest du gern all die berühmten Sachen da drüben sehen?«
    »Ach nein, Morris!« erwiderte Catherine ablehnend.
    ›Gütiger Himmel, was für ein stumpfsinniges Frauenzimmer!‹ stieß Morris insgeheim aus.
    »Er glaubt, daß ich dich vergessen werde«, sagte Catherine, »daß all diese Sachen dich mir aus dem Sinn schlagen werden.«
    »Nun, meine Liebe, vielleicht tun sie das.«
    »Bitte, sag’ das nicht«, entgegnete Catherine sanft, während sie weitergingen. »Mein armer Vater wird enttäuscht sein.«
    Morris lachte ein wenig. »Ja, ich glaube wahrlich, daß dein armer Vater enttäuscht sein wird. Aber du hast dann immerhin Europa gesehen«, fuhr er amüsiert fort. »Welch ein Reinfall!«
    »Ich habe keine Lust,

Weitere Kostenlose Bücher