Washington Square
und Sie haben es mir bis zum Überdruß versichert. Sie brauchen es mir nicht erneut zu sagen; ich bin vollkommen im Bild. Er wird uns niemals auch nur einen Pfennig geben; ich sehe das als mathematisch erwiesen an.«
Hier nun hatte Mrs. Penniman eine Eingebung.
»Könnten Sie nicht Klage gegen ihn erheben?« Sie wunderte sich, daß ihr dieses einfache Mittel früher noch nie eingefallen war.
»Ich werde gegen
Sie
Klage erheben«, sagte Morris, »wenn Sie mir mit noch mehr so erschwerenden Fragen kommen. Ein Mann hat zu erkennen, wann er sich geschlagen geben muß«, setzte er gleich darauf hinzu. »Ich muß sie aufgeben!«
Mrs. Penniman nahm diese Erklärung stillschweigend auf, doch sie bereitete ihr ein wenig Herzklopfen. Sie erreichte |218| sie keineswegs unvorbereitet, denn sie hatte sich an den Gedanken gewöhnt, wenn es für Morris unbestreitbar nicht möglich wäre, das Geld ihres Bruders zu erhalten, erschiene es für ihn nicht ratsam, Catherine ohne es zu heiraten.
»Es wäre nicht ratsam« war eine unklare Art, die Angelegenheit zu bezeichnen; aber Mrs. Pennimans natürliche Zuneigung ergänzte diesen Gedankengang, der allerdings bis jetzt nicht so unverblümt zwischen ihnen zum Ausdruck gebracht worden war, wie es Morris eben getan hatte, aber nichtsdestoweniger in gewissen zwanglosen Gesprächspausen, wenn er mit ausgestreckten Beinen in den wohlgepolsterten Lehnstühlen des Doktors saß, so häufig angedeutet worden war, daß sie zunächst dazu gelangt war, ihn mit einer Gefühlsregung, von der sie sich einbildete, sie sei philosophisch, in Betracht zu ziehen, um dann in der Folge eine heimliche Zärtlichkeit dafür zu empfinden. Die Tatsache, daß sie diese ihre Zärtlichkeit verborgen hielt, beweist natürlich, daß sie deswegen beschämt war; aber sie brachte es fertig, ihre Beschämung zu verdrängen, indem sie sich in Erinnerung rief, daß sie letzten Endes die offizielle Schirmherrin der Heirat ihrer Nichte war. Ihre Logik hätte beim Doktor schwerlich Zustimmung gefunden. In erster Linie mußte Morris unbedingt das Geld kriegen, und sie würde ihm dazu verhelfen. Zum zweiten war es offenkundig, daß es ihm niemals zukommen würde, und es wäre ewig schade, wenn er ohne das Geld heiraten würde – ein junger Mann, der so unschwer etwas Besseres finden könnte. Nachdem ihr Bruder bei seiner Rückkehr aus Europa jene bereits angeführte bissige kleine Rede vom Stapel gelassen hatte, schien Morris’ Sache so hoffnungslos, daß Mrs. Penniman ihre Aufmerksamkeit ausschließlich |219| auf die zuletzt genannte Abzweigung ihres Gedankenganges richtete. Wenn Morris ihr Sohn gewesen wäre, hätte sie Catherine sicher einem besseren Entwurf seiner Zukunft geopfert; und dazu, so wie die Dinge lagen, bereit zu sein, war deshalb ein noch höherer Grad der Hingebung. Dessen ungeachtet nahm es ihr ein wenig den Atem, daß ihr gewissermaßen unversehens das Opfermesser in die Hand gedrückt wurde.
Morris spazierte eine kleine Weile weiter und wiederholte dann barsch: »Ich muß sie aufgeben!«
»Ich glaube, ich verstehe Sie«, sagte Mrs. Penniman wohlmeinend.
»Ich sage es ja bestimmt auch unmißverständlich genug – brutal und roh.«
Er war über sich selbst beschämt, und das war ihm unangenehm; da er nun Unangenehmes durchaus nicht ertragen konnte, wurde er bösartig und erbarmungslos. Er verspürte das Bedürfnis, jemanden zu beschimpfen, und er begann vorsichtigerweise – da er immer vorsichtig zu Werke ging – bei sich selbst.
»Wäre es Ihnen nicht möglich, sie etwas zu dämpfen?« fragte er.
»Zu dämpfen?«
»Sie vorzubereiten – zu versuchen, mich bei ihr loszubekommen.«
Mrs. Penniman blieb stehen und sah ihn sehr ernst an.
»Mein armer Morris, wissen Sie auch, wie sehr sie Sie liebt?«
»Nein. Ich will es auch gar nicht wissen. Ich habe immer versucht, mir das zu verbergen. Es wäre zu unangenehm.«
»Sie wird sehr leiden«, sagte Mrs. Penniman.
|220| »Sie müssen sie trösten. Wenn Sie mir eine so gute Freundin sind, wie Sie behaupten, bringen Sie das fertig.«
Mrs. Penniman schüttelte betrübt den Kopf.
»Sie sagen, daß ich ›behaupte‹, Sie gern zu haben; aber ich kann nicht behaupten, daß ich Sie hasse. Ich kann ihr nur sagen, daß ich eine sehr hohe Meinung von Ihnen habe; und wie soll sie das über Ihren Verlust hinwegtrösten?«
»Der Doktor wird Ihnen dabei helfen. Er wird entzückt darüber sein, daß die Sache in die Brüche geht; und da er ein schlauer Fuchs
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