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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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sie geschlagen, Al. Geschlagen!«
    Onkel Al reibt sich nachdenklich das Kinn. »Tja nun. Ich muss sagen,
das hat mir nicht sonderlich gefallen.« Er deutet auf den Platz ihm gegenüber.
»Setz dich.«
    Ich hocke mich auf die Stuhlkante.
    Onkel Al mustert mich mit schiefgelegtem Kopf. »War etwas an der
Geschichte dran?«
    »An welcher Geschichte?«
    Er trommelt mit den Fingern auf den Tisch und schürzt die Lippen.
»Seid du und Marlena … hmmm, wie soll ich sagen …«
    »Nein.«
    »Hmmmm«, wiederholt er nachdenklich. »Gut. Hätte ich auch nicht
gedacht. Aber gut. Dann kannst du mir ja helfen.«
    »Wie bitte?«, frage ich.
    »Ich bearbeite ihn, du bearbeitest sie.«
    »Auf keinen Fall.«
    »Das ist eine dumme Situation für dich, stimmt. Du bist mit beiden
befreundet.«
    »Mit ihm bin ich nicht befreundet.«
    Seufzend setzt er eine Miene größter Geduld auf. »Du musst August
verstehen. So ist er halt manchmal. Er kann nichts dafür.« Er beugt sich vor
und betrachtet mein Gesicht. »Großer Gott. Ich rufe mal lieber einen Arzt, der
nach dir sieht.«
    »Ich brauche keinen Arzt. Und natürlich kann er was dafür.«
    Er starrt mich an, dann lehnt er sich zurück. »Er ist krank, Jacob.«
    Ich schweige.
    »Er leidet unter paradischer Schnitzophonie.«
    »Worunter leidet er?«
    »Paradische Schnitzophonie«, wiederholt Onkel Al.
    »Meinen Sie paranoide Schizophrenie?«
    »Genau. Wie auch immer. Kurz gesagt, er ist vollkommen irre. Aber
natürlich ist er auch brillant, deshalb versuchen wir, damit zurechtzukommen.
Für Marlena ist es natürlich schwerer als für uns andere. Und deshalb braucht
sie unsere Unterstützung.«
    Ich schüttle ungläubig den Kopf. »Wissen Sie eigentlich, was Sie da
sagen?«
    »Ich darf keinen von beiden verlieren. Und wenn sie nicht wieder
zusammenkommen, werden wir August nicht unter Kontrolle halten können.«
    »Er hat sie geschlagen«, wiederhole ich mich.
    »Ja, ich weiß, das war sehr ärgerlich. Aber er ist doch ihr
Ehemann.«
    Ich setze meinen Hut auf und mache Anstalten aufzustehen.
    »Wohin willst du?«
    »Wieder an die Arbeit«, sage ich. »Ich werde nicht hier sitzen und
mir anhören, dass August sie schlagen darf, weil sie seine Frau ist. Oder dass
er nichts dafür kann, weil er wahnsinnig ist. Wenn er wahnsinnig ist, dann
sollte sie sich erst recht von ihm fernhalten.«
    »Wenn du gleich noch Arbeit haben willst, dann setzt du dich jetzt.«
    »Wissen Sie was? Die Arbeit ist mir scheißegal«, sage ich und gehe
zur Tür. »Wiedersehen. Ich würde gerne sagen, es war eine schöne Zeit.«
    »Was ist mit deinem kleinen Freund?«
    Ich erstarre. Meine Hand liegt auf dem Türknauf.
    »Der kleine Drecksack mit dem Hund«, sagt er grüblerisch. »Und
dieser andere Kerl – wie hieß er doch gleich?« Er schnipst mit den Fingern,
während er überlegt.
    Ich drehe mich langsam um. Ich kann mir denken, was jetzt kommt.
    »Du weißt schon, wen ich meine. Diesen nutzlosen Krüppel, der auf
meine Kosten futtert und in meinem Zug seit Wochen Platz wegnimmt, ohne einen
Handschlag zu tun. Was ist mit dem?«
    Mein Gesicht glüht, in mir lodert der Hass.
    »Dachtest du wirklich, du kannst einen blinden Passagier vor mir
verstecken? Oder vor ihm?« Sein Blick ist grimmig, seine Augen blitzen.
    Dann entspannen sich seine Züge plötzlich, und er lächelt
freundlich. Er streckt bittend die Hände aus. »Du verstehst mich völlig falsch.
Die Menschen in dieser Show sind meine Familie. Jeder Einzelne von ihnen liegt
mir am Herzen. Was mir aber klar ist und dir offensichtlich noch nicht, ist die
Tatsache, dass manchmal ein Einzelner etwas opfern muss zum Wohle aller. Und
für diese Familie ist es nötig, dass August und Marlena sich wieder vertragen.
Haben wir uns verstanden?«
    Ich starre ihm in die funkelnden Augen und würde nur zu gerne ein
Beil dazwischenschlagen.
    »Ja, Sir«, antworte ich schließlich. »Ich glaube schon.«
    Rosie hat einen Fuß auf eine Tonne gestellt, damit ich ihr die
Zehennägel feilen kann. Sie hat fünf an jedem Fuß, genau wie ein Mensch. Ich
bearbeite gerade einen ihrer Vorderfüße, als mir auffällt, dass sich in der
Menagerie kein Mensch mehr rührt. Die Arbeiter starren reglos mit großen Augen
auf den Eingang.
    Ich blicke auf. August kommt auf mich zu und bleibt vor mir stehen.
Das Haar fällt ihm in die Stirn, und er streicht es mit einer geschwollenen
Hand zurück. Seine Oberlippe, die aufgeplatzt ist wie ein Grillwürstchen, hat
sich blauviolett verfärbt.

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