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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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erwischt hat, dann waren sie hinter dir her. Und wenn ich du wäre, würde
ich jetzt ein für alle Mal verschwinden.«
    »Und wenn ich das nicht kann?«
    Er wirft mir einen scharfen Blick zu, mahlt mit den Kiefern und
mustert mich ausgiebig. »Auf dem Zirkusplatz bist du tagsüber sicher«, sagt er
schließlich. »Wenn du heute Abend wieder in den Zug steigst, dann auf keinen
Fall in den Pferdewagen. Lauf auf den Flachwagen rum und versteck dich unter
den Paradewagen. Lass dich nicht schnappen, und sei wachsam. Und hau von hier
ab, sobald du kannst.«
    »Das werde ich. Glaub mir. Aber ich muss erst noch was erledigen.«
    Mit einem letzten, langen Blick sagt Earl: »Wir sehen uns später.«
Dann marschiert er auf den Küchenbau zu, wo die Männer von der Zeltkolonne in
kleinen Gruppen zusammenstehen und sich mit ängstlichen Gesichtern ständig
umschauen.
    Außer Walter und Camel fehlen acht weitere Männer, drei aus dem
Hauptzug und der Rest aus der Fliegenden Vorhut, was bedeutet, dass Blackie und
seine Jungs sich auf die Zugabschnitte verteilt haben. Da die Show kurz vor dem
Ruin steht, wären die Arbeiter wahrscheinlich sowieso aus dem Zug geworfen
worden, aber nicht an einer Brücke. Das galt mir.
    Mir wird klar, dass mich mein Gewissen genau in dem Moment davon
abgehalten hat, August umzubringen, als mich jemand auf seinen Befehl hin töten
wollte.
    Ich frage mich, wie es für ihn war, mit dem Messer neben sich
aufzuwachen. Hoffentlich ist ihm bewusst, dass es zwar als Drohung gedacht war,
aber mittlerweile zum Versprechen geworden ist. Das schulde ich jedem einzelnen
der Männer, die aus dem Zug geworfen wurden.
    Ich suche den ganzen Morgen verzweifelt nach Marlena, doch ich
kann sie nirgends finden.
    Onkel Al stolziert in seiner schwarz-weiß karierten Hose und dem
roten Frack umher und verpasst jedem eine Kopfnuss, der nicht schnell genug aus
dem Weg springt. Irgendwann sieht er mich und bleibt wie angewurzelt stehen.
Wir stehen uns mit siebzig Meter Abstand gegenüber. Ich starre ihn unverwandt
an und lege all meinen Hass in diesen Blick. Einen Moment später verzieht er
die Lippen zu einem eisigen Lächeln. Dann dreht er sich abrupt nach rechts und
geht weiter, sein Gefolge im Schlepptau.
    Von weitem sehe ich, wie mittags die Fahne über dem Küchenbau
gehisst wird. Marlena steht dort in Straßenkleidung in der Essensschlange. Sie
lässt den Blick über die Menge schweifen; sie sucht nach mir, und hoffentlich
weiß sie, dass es mir gut geht. Als sie sich gesetzt hat, taucht August beinahe
augenblicklich wie aus dem Nichts auf und nimmt ihr gegenüber Platz. Er hat
nichts zu essen dabei. Er sagt etwas, dann greift er über den Tisch und packt
sie am Handgelenk. Als sie die Hand zurückzieht, verschüttet sie ihren Kaffee.
Die Leute in ihrer Nähe drehen sich nach ihnen um. Er lässt los und springt so
jäh auf, dass die Bank umkippt. Dann stürmt er hinaus. Sobald er verschwunden
ist, renne ich zum Küchenbau.
    Marlena blickt auf, sieht mich und wird blass.
    »Jacob!«, entfährt es ihr.
    Ich stelle die Bank wieder hin und setze mich auf die Kante.
    »Hat er dir wehgetan? Geht es dir gut?«, frage ich.
    »Mir ja. Aber was ist mit dir? Ich habe gehört …« Ihre Stimme
versagt, sie hält sich eine Hand vor den Mund.
    »Wir verschwinden heute. Ich lasse dich nicht aus den Augen. Geh
einfach vom Platz, sobald du kannst, und ich folge dir.«
    Mit blassem Gesicht starrt sie mich an. »Was ist mit Walter und
Camel?«
    »Wir gehen zurück und versuchen etwas herauszufinden.«
    »Ich brauche noch ein paar Stunden.«
    »Wofür?«
    Onkel Al steht an einer Seite des Küchenbaus und schnipst mit den
Fingern. Earl kommt vom anderen Ende des Zeltes herüber.
    »In unserem Abteil liegt etwas Geld. Ich hole es, wenn er weg ist«,
sagt sie.
    »Nein. Das ist das Risiko nicht wert.«
    »Ich werde vorsichtig sein.«
    »Nein!«
    »Komm mit, Jacob«, sagt Earl und packt mich am Oberarm. »Der Chef
will, dass du verschwindest.«
    »Gib mir noch einen Moment, Earl.«
    Er seufzt tief. »Na gut. Wehr dich ein bisschen. Aber nur ein paar
Sekunden, dann muss ich dich rausschaffen.«
    »Marlena«, flehe ich, »versprich mir, dass du nicht da hineingehst.«
    »Ich muss. Das Geld gehört zur Hälfte mir, und wenn ich es nicht
hole, haben wir keinen lausigen Cent.«
    Ich reiße mich los und drehe mich um, sodass ich Earl vor Augen
habe. Oder zumindest seine Brust.
    »Sag mir, wo es ist, dann hole ich es«, knurre ich und bohre Earl
einen

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