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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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echt
Schlimmes.«
    Jemand rempelt mich im Vorüberlaufen an. Es ist Diamond Joe. »Jacob
– die Menagerie«, ruft er mir über die Schulter zu. »Die Tiere sind los.
Schnell, beeil dich!«
    Das muss er mir nicht zweimal sagen. Als ich in die Nähe der
Menagerie komme, dröhnt die Erde unter meinen Füßen, und das jagt mir eine
Heidenangst ein, denn das ist kein Geräusch. Es ist Bewegung, es sind Hufe und
Tatzen, die den Boden zum Beben bringen.
    Ich stürze durch den Zelteingang und werfe mich sofort gegen die
Rundleinwand, als ein Yak vorbeidonnert. Sein gekrümmtes Horn verfehlt meine
Brust nur um wenige Zentimeter. Auf seinem Rücken krallt sich mit
panikgeweiteten Augen eine Hyäne fest.
    Ich stehe vor einer ausgewachsenen Stampede. Alle Tierkäfige stehen
offen, in der Zeltmitte herrscht das reinste Chaos aus Schimpansen,
Orang-Utans, Lamas, Zebras, Löwen, Giraffen, Kamelen, Hyänen und Pferden. Ich
sehe Dutzende Pferde, darunter Marlenas, und alle sind wahnsinnig vor Angst.
All diese Tiere rennen, schlagen Haken, brüllen, galoppieren, grunzen oder
wiehern; sie sind überall, hangeln sich an Seilen entlang oder kriechen Pfosten
hinauf, sie verstecken sich unter Wagen, drücken sich gegen die Rundleinwand
oder schlittern durch die Zeltmitte.
    Ich suche das Zelt nach Marlena ab, sehe aber nur einen Panther
durch den Verbindungsgang Richtung Chapiteau gleiten. Als ich seinen
geschmeidigen, schwarzen Körper aus dem Blick verliere, wappne ich mich
innerlich. Es dauert ein paar Sekunden, doch dann kommt er – der erste
langgezogene Schrei, dann noch einer und noch einer, und dann explodiert alles
unter dem Donnern der Menschen, die versuchen, sich an den anderen vorbei- und
das Gradin hinunterzudrängen.
    Gott, lass sie bitte hinten rausgehen. Bitte, Gott, sie dürfen es
nicht hier vorne versuchen.
    Inmitten der wogenden Tierleiber entdecke ich zwei Männer. Sie
schwingen Seile und treiben die Tiere in immer stärkere Raserei. Einer von
ihnen ist Bill. Unsere Blicke treffen sich. Dann schlüpft er mit dem anderen
Mann ins Chapiteau. Wieder bricht das Orchester kreischend ab, dieses Mal
bleibt es still.
    Ich suche verzweifelt, fast schon panisch das Zelt ab. Wo bist du,
Marlena? Wo bist du? Wo zum Teufel bist du?
    Dann entdecke ich rosafarbene Pailletten, und ich wirble herum. Als
ich sie neben Rosie stehen sehe, schreie ich erleichtert auf.
    August steht vor ihnen – natürlich, wo sollte er sonst sein? Marlena
hat die Hände vor den Mund geschlagen. Sie hat mich noch nicht gesehen, aber
Rosie schon. Sie wirft mir einen langen, festen Blick zu, und etwas an ihrem
Ausdruck lässt mich wie angewurzelt stehen bleiben. August bemerkt davon nichts
– er brüllt mit hochrotem Kopf, wedelt mit den Armen und schwingt seinen Stock.
Sein Zylinder, der neben ihm im Stroh liegt, hat ein Loch, als wäre er
hineingetreten.
    Rosie streckt den Rüssel nach etwas aus. Eine Giraffe rennt zwischen
uns hindurch – selbst in der Panik bewegt sie ihren Hals anmutig –, und als sie
vorübergelaufen ist, sehe ich, dass Rosie ihren Pflock aus dem Boden gezogen
hat. Sie hält ihn locker umfasst, sein Ende liegt auf dem Boden auf. Die Kette
ist noch um ihr Bein geschlungen. Sie blickt mich wie in Gedanken versunken an.
Dann richtet sie den Blick auf Augusts bloßen Hinterkopf.
    »Großer Gott.« Plötzlich verstehe ich. Ich stolpere vorwärts und pralle
gegen die Flanke eines vorbeilaufenden Pferdes. »Nein, nicht! Tu das nicht!«
    Sie hebt den Pflock, als sei er federleicht, und dann zertrümmert
sie mit einer glatten Bewegung Augusts Kopf, so als würde sie ein hartgekochtes
Ei aufschlagen. Sie hält den Pflock fest, während er nach vorne kippt, dann
steckt sie ihn beinahe gemächlich zurück in den Boden. Als sie einen Schritt
zurückgeht, gibt sie den Blick auf Marlena frei, die vielleicht, vielleicht
aber auch nicht, gesehen hat, was gerade geschehen ist.
    Fast augenblicklich läuft eine Herde Zebras dicht an ihnen vorbei. Zwischen
ihren stampfenden Hufen und schwarz-weißen Beinen blitzen menschliche
Gliedmaßen auf, eine Hand, ein Fuß; sie werden auf und ab geschleudert, zur
Seite gerissen und schlackern mit zerschmetterten Knochen. Danach besteht das,
was einmal August war, nur noch aus rohem Fleisch, Eingeweiden und Stroh.
    Marlena starrt es mit weit aufgerissenen Augen an. Dann klappt sie
zusammen. Rosie wedelt mit den Ohren, öffnet das Maul und stellt sich mit einem
Schritt zur Seite direkt über Marlena.
    Auch wenn

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