Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
wird die
Landung sauberer und etwas unbedachter. Beim sechsten muss ich mich ermahnen,
vorsichtig zu sein.
Auf dem Direktionswagen setze ich mich, um Bilanz zu ziehen. Meine
Muskeln schmerzen, mir ist schwindlig, und ich ringe nach Luft.
Als der Zug durch eine weitere Kurve schaukelt, packe ich die
Handläufe und blicke Richtung Lok. Wir fahren einen Waldhang entlang auf eine
Bockbrücke zu. So weit ich es im Dunkeln erkennen kann, führt die Brücke in
fast zwanzig Metern Höhe über ein felsiges Flussbett. Ein erneuter Ruck, der
durch den Zug fährt, macht mir die Entscheidung leicht. Den restlichen Weg bis
Wagen 48 lege ich im Inneren des Zuges zurück.
Mit dem Messer zwischen den Zähnen lasse ich mich vorsichtig über
die Dachkante hinunter. Die Wagen der Artisten und Chefs sind durch
Metallplattformen miteinander verbunden, also muss ich nur Acht geben, darauf
zu landen. Ich hänge gerade an den Fingerspitzen, da neigt sich der Zug in eine
Kurve, und meine Beine werden zur Seite gerissen. Ich kralle mich verzweifelt
fest, meine schweißnassen Finger rutschen über das Riffelblech.
Sobald der Zug sich wieder aufgerichtet hat, lasse ich mich auf die
Plattform fallen. Ich lehne mich kurz gegen das Geländer um die Plattform herum
und sammle mich. Mit schmerzenden, zitternden Fingern ziehe ich die Taschenuhr
hervor und sehe, dass es auf drei Uhr zugeht. Es ist unwahrscheinlich, dass mir
jemand begegnet. Aber nicht unmöglich.
Das Messer ist ein Problem. Es ist zu lang, um es in eine Tasche zu
stecken, und zu scharf für den Hosenbund. Schließlich wickle ich meine Jacke
darum und klemme es mir unter den Arm. Dann streiche ich mir das Haar zurück,
wische mir das Blut von den Lippen und öffne die Schiebetür.
Der Gang ist leer, er wird nur vom Mondlicht beschienen, das durch
die Fenster fällt. Ich bleibe kurz stehen, um hinauszublicken. Wir sind jetzt
auf der Brücke. Ich habe ihre Höhe unterschätzt – wir befinden uns mindestens
fünfunddreißig Meter über dem felsigen Flussbett inmitten einer weiten Ödnis.
Als der Zug schlingert, bin ich froh, nicht mehr auf dem Dach zu hocken.
Wenig später blicke ich auf den Türknauf von Privatabteil 3. Ich
wickle das Messer aus und lege es auf den Boden, während ich meine Jacke
anziehe. Dann hebe ich es auf und betrachte wieder den Türknauf.
Als ich ihn drehe, ertönt ein lautes Klicken. Ich erstarre, halte
den Knauf fest und warte ab, ob sich etwas rührt. Nach ein paar Sekunden drehe
ich ihn weiter und schiebe die Tür auf.
Ich lasse sie offen stehen, weil ich befürchte, er könne aufwachen,
wenn ich sie schließe.
Wenn er auf dem Rücken liegt, sollte ein einziger, schneller Schnitt
durch die Luftröhre genügen. Liegt er auf dem Bauch oder der Seite, muss ich
das Messer so hineinrammen, dass die Klinge seine Luftröhre erwischt. Auf jeden
Fall ist der Hals mein Ziel. Aber ich darf nicht zögern, der Stich muss so tief
gehen, dass er schnell verblutet, ohne schreien zu können.
Während ich zum Schlafzimmer schleiche, halte ich das Messer fest
umklammert. Der Samtvorhang ist geschlossen. Ich ziehe ein Ende zur Seite und
spähe in den Raum. Als ich sehe, dass August allein ist, atme ich erleichtert
auf. Sie ist in Sicherheit, wahrscheinlich im Jungfernwagen. Ich muss auf
meinem Weg hierher über sie hinweggeklettert sein.
Ich schlüpfe ins Schlafzimmer und stelle mich neben das Bett. Er
schläft auf der Seite, an der ich stehe, Marlenas Seite ist leer. Die Vorhänge
sind gerafft, und im Mondlicht, das durch die Bäume flackert, scheint sein
Gesicht immer wieder kurz auf.
Ich starre auf ihn hinunter. Er trägt einen gestreiften Pyjama und
sieht friedlich aus, beinahe jungenhaft. Sein dunkles Haar ist zerzaust, und
seine Lippen umspielt ein Lächeln. Er träumt. Plötzlich bewegt er sich,
schmatzt einmal und dreht sich vom Rücken auf die Seite. Er langt hinüber auf
Marlenas Seite und klopft ein paar Mal auf die leere Matratze. Dann tastet er
sich zu ihrem Kissen hoch. Er zieht es sich an die Brust, drückt es an sich und
vergräbt sein Gesicht darin.
Ich hebe das Messer mit beiden Händen, die Spitze schwebt einen
halben Meter über seiner Kehle. Ich darf keinen Fehler machen. Ich versuche die
Klinge so zu halten, dass sie eine möglichst breite Wunde reißt. Als der Zug
aus dem Waldstück hinausfährt, fällt ein schmaler Streifen Mondlicht auf die
Klinge. Während ich den richtigen Winkel suche, bricht sich glitzernd das Licht
auf ihr. Wieder bewegt
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