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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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August sich, er schnaubt und rollt sich schwungvoll auf
den Rücken. Sein linker Arm plumpst vom Bett und pendelt wenige Zentimeter vor
meinem Bein. Noch immer funkelt die Klinge. Aber nicht mehr, weil ich den
richtigen Winkel suche. Meine Hände zittern. Augusts Kinnlade fällt herunter, er
atmet mit einem scheußlichen Brummen und Schmatzen ein. Die Hand vor meinem
Bein hängt nun schlaff herab, die Finger der anderen zucken.
    Ich beuge mich über ihn und lege das Messer vorsichtig auf Marlenas
Kopfkissen. Einen Moment lang betrachte ich ihn noch, dann gehe ich.
    Ohne den Adrenalinrausch fühlt sich mein Kopf wieder an, als
wäre er größer als mein Körper, und ich stolpere durch die Flure, bis ich ans
Ende der Privatabteile gelange.
    Ich muss mich entscheiden. Entweder steige ich wieder aufs Dach oder
gehe weiter durch den Direktionswagen – in dem durchaus noch ein paar Spieler
wach sein können – und die ganzen Schlafwagen, muss danach aber sowieso auf das
Dach des Pferdewagens klettern. Deshalb beschließe ich, den Aufstieg lieber
früher als später zu wagen.
    Er übersteigt beinahe meine Kräfte. Mein Kopf hämmert, und ich kann
kaum die Balance halten. Ich klettere auf das Geländer der nächsten Plattform
und ziehe mich irgendwie aufs Dach. Oben angekommen liege ich kraftlos da, und
mir ist übel. Ich gönne mir eine zehnminütige Erholungspause, bevor ich
weiterkrieche. Am Wagenende klammere ich mich an die Handläufe zu beiden Seiten
und ruhe wieder aus. Ich bin zu Tode erschöpft. Ich weiß nicht, wie ich
weitermachen soll, aber ich muss es schaffen, denn wenn ich hier einschlafe,
falle ich in der nächsten Kurve runter.
    Das Summen ist wieder da, und meine Augen zucken. Vier Mal wage ich
den großen Sprung, und jedes Mal bin ich sicher, dass ich es nicht schaffe.
Beim fünften behalte ich beinahe recht. Zwar treffe ich mit den Händen die
dünnen Eisengriffe, aber mir rammt sich die Dachkante in den Magen. Benommen
hänge ich vom Dach, so müde, dass mir der Gedanke durch den Kopf schießt, es
wäre doch viel leichter, einfach loszulassen. So müssen sich Ertrinkende in
ihren letzten Sekunden fühlen, bevor sie den Kampf schließlich aufgeben und
sich in die Umarmung des Wassers gleiten lassen. Allerdings erwartet mich keine
nasskalte Umarmung, sondern grauenhafte Verstümmelung.
    Ich reiße mich zusammen und strample mit den Beinen, bis ich auf dem
Wagenrand Halt finde. Danach ist es nicht mehr schwer, mich hochzuhieven, und
im nächsten Moment liege ich wieder keuchend auf dem Dach.
    Die Lokomotive pfeift, und ich hebe meinen riesigen Schädel. Ich
habe es bis zum Pferdewagen geschafft. Jetzt muss ich nur noch bis zur
Dachklappe kriechen und mich fallen lassen. Stückchen für Stückchen krabble ich
auf die Klappe zu. Es wundert mich, dass sie offen steht, denn ich dachte, ich
hätte sie geschlossen. Ich lasse mich in den Wagen hinunter und falle zu Boden.
Eines der Pferde wiehert, schnaubt dann mehrfach und stampft unruhig mit den
Hufen.
    Ein Blick zeigt mir, dass die äußere Wagentür offensteht.
    Ich fahre hoch und drehe mich nach der Innentür um. Auch sie ist
geöffnet.
    »Walter! Camel!«, rufe ich.
    Der einzige Laut kommt von der Tür, die leise im Takt der
Bahnschwellen gegen die Wand schlägt.
    Ich rapple mich auf und stürze zur Tür. Zusammengekrümmt stütze ich
mich mit einer Hand im Türrahmen ab und lasse den Blick durch den Raum
schweifen, ohne etwas wahrzunehmen. Mein Kopf ist blutleer, vor meinen Augen
explodieren wieder schwarze und weiße Sterne.
    »Walter! Camel!«
    Von außen zur Mitte hin kehrt mein Sehvermögen langsam zurück,
deshalb drehe ich den Kopf hin und her, um vielleicht aus den Augenwinkeln
etwas zu sehen. In dem Licht, das durch die Ritzen zwischen den Brettern fällt,
mache ich die leere Pritsche aus. Auch die Schlafmatte ist leer, ebenso die
Pferdedecke in der Ecke.
    Ich stolpere zu den Truhen, die an der hinteren Wand aufgereiht
stehen, und beuge mich über sie.
    »Walter?«
    Ich finde nur Queenie, die sich zitternd zusammengerollt hat. Ihr
panischer Blick lässt keinen Zweifel zu.
    Überwältigt von Trauer und Schuldgefühlen sinke ich zu Boden. Ich
werfe ein Buch an die Wand. Ich hämmere auf den Boden. Ich schüttle die Fäuste
gegen Himmel und gegen Gott, und als ich schließlich in unkontrollierbares
Schluchzen ausbreche, krabbelt Queenie hinter den Truhen hervor und schiebt
sich auf meinen Schoß. Ich drücke ihren warmen Körper an mich, und

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