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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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bei der Diskussion des Falles entgegengehalten. »Und kommen Sie mir nicht mit Notwehr! Der Mann war nach dem Sturz von der Kellertreppe völlig hilflos! Die Beklagte hat mit dem Hammer auf einen wehrlosen Mann eingeschlagen! Das ist durch gar nichts zu rechtfertigen!«
    Karen seufzte tief auf. Sie hatte Wenzel vehement widersprochen. Dabei hatte er recht. Tatsächlich war die Tat besonders brutal gewesen – und das war wirklich durch nichts zu rechtfertigen. Auch nicht, wenn die Täterinnen Frauen waren, die ihren Peiniger erschlugen.
    Trotzdem hatte sie in ihrem Plädoyer die Notlage der beiden Frauen herausgestrichen. Das dankbare Lächeln der Tochter hatte ihr einen Stich versetzt. Die junge Frau würde viele Jahre im Gefängnis verbringen, bevor sie entlassen werden konnte. Aber es schien sie für den Freiheitsverlust zu entschädigen, daß sogar die Staatsanwältin ihr die moralische Rechtfertigung nicht absprach.
    »Und demnächst mutieren Sie zur Vertreterin des gesunden Volksempfindens und applaudieren mit, wenn Frauen die Mörder ihrer Kinder im Gerichtssaal er­schießen? Und halten ein Plädoyer für Selbstjustiz?« hatte Wenzel gefragt.
    So ein Quatsch. Natürlich nicht. Karen eilte den langen, nach Reinigungsmittel riechenden Flur entlang, gefolgt vom Echo ihrer Pumps auf dem Linoleum. Sie haßte Selbstjustiz, wie sich das für eine Staatsanwältin gehörte. Andererseits sah das deutsche Strafrecht in Fällen wie diesem mildernde Umstände vor. Und einen Ermessensspielraum, von dem, wie sie hoffte, der Richter auch Gebrauch machen würde.
    Sie ließ die rechte Schwingtür am Ende des Ganges mit einem geübten Fußtritt auffliegen und stürmte hindurch. Sie glaubte nicht an die angeborene Bösartigkeit des Mannes. Und daß Frauen zu äußerster Brutalität fähig waren, zeigte nicht zuletzt dieser Fall. Das alles aber änderte nichts daran, daß die Statistik die Männer in der Mehrzahl der Fälle als die Täter auswies. Als die Mörder und Totschläger, als die Vergewaltiger und Kinderschänder. Die Frauen waren nicht das bessere, die Männer hingegen das gewalttätigere Geschlecht. Sie bezweifelte, daß sich an diesem Verhältnis bald etwas andern würde. Höchstens, wenn sich Frauen endlich einmal rechtzeitig wehrten.
    Plötzlich merkte sie, daß sie nicht mehr mitleidig sein wollte, sondern zornig. Die Zeiten waren schließlich längst vorbei, als man in Polizeidienststellen und bei den Verfolgungsbehörden Prügel und Vergewaltigung für einen Teil des ganz normalen Ehealltags hielt. Warum zeigten die Frauen den Tyrannen im Hause nicht an, bevor sie zum äußersten Mittel griffen? Zum alleräußersten Mittel – zu Mord und Totschlag. Zu Selbstjustiz.
    »Bravo, Frau Kollegin«, hörte sie im Geiste die kühle Stimme Manfred Wenzels sagen. »Willkommen im Rechtsstaat!«
    Klugscheißer! Karen ging langsamer. Ihr Büro war nur noch ein paar Schritte entfernt. Sie stellte den Aktenkoffer vor die Tür und suchte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel, schloß auf, ließ die Tür hinter sich zufallen und schlüpfte erleichtert aus den Schuhen mit den hohen Absätzen. »2 Anrufe« meldete der kleine Bildschirm des Telefons. Das konnte bis morgen warten. Sie ging zum Wandschrank mit der Waschgelegenheit, wusch sich die Hände und beugte sich zum Spiegel über dem Waschbecken hinunter, um sich die Lippen nachzuziehen und die roten, glatten Haare zu kämmen. Warum hatte sie es eigentlich bis heute nicht geschafft, den Spiegel einfach ein bißchen höher zu hängen, ihrer Körpergröße entsprechend?
    Karen Stark war groß, sie war sogar auffallend groß, und sie hatte eine tiefe, dunkle Stimme. »Damit kann man eigentlich nur Staatsanwältin werden«, pflegte ihr alter Freund Harri Ebinger zu behaupten. »Oder Burgschauspielerin«, entgegnete sie dann meist.
    Beruflich war das nützlich. Stimme und Statur verliehen Autorität und verfehlten selten ihren Eindruck auf Angeklagte, Verteidiger und Richter. Wenigstens auf den ersten Blick wirkte sie strenger und beherrschter als sie sich fühlte – was irgendwie beruhigend war. Sie zog die Robe aus und schälte sich aus dem Kostüm, das sie in den Wandschrank neben dem Waschbecken hängte. Selbstkritisch betrachtete sie sich: von vorne und, vor allem, von der Seite. Für diese Art der Inspektion hing der Spiegel an genau der richtigen Stelle: Der Speckgürtel um die Leibesmitte war nicht zu übersehen. Karen kniff sich in die Seite. Verdammt, dachte sie. Soviel

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