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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Dabei sollte das Laufen doch glücklich machen.
    Sie hatte das immer für ein Gerücht gehalten. Irgendwie war ihr das Wunder der Endorphinausschüttung noch nicht widerfahren. Obwohl, na ja: Auch sie erlebte Glücksmomente bei diesem monotonen Im-Kreis-Herum-Laufen, immer wieder auf denselben Wegen und an denselben Natur- und Kulturdenkmälern vorbei: Eben hatte sie die riesige Rotbuche passiert. Jetzt lief sie an der Gartenbank vorbei, die, wie ein auf der Rückenlehne angebrachtes, an den Rändern abgeplatztes Emailleschild behauptete, von Helene Mordkowitsch gestiftet worden war. Gleich mußte sie zum wiederholten Male an dem riesigen Haufen Hundescheiße vorbeilaufen, den ein entsprechend dimensionierter Köter, wahrscheinlich unter den bewundernden Blicken von Herrchen oder Frauchen, mitten auf den Weg gesetzt hatte und auf dem grünschillernde Fliegen hockten, die heftig mit den Flügeln rotierten, wenn man vorbei kam.
    Man sollte sie mit der Nase hineinstupsen, dachte sie. Nicht die Hunde. Die Herrchen und Frauchen, deren Tierliebe exponentiell wuchs, je einsamer sie waren. Aber richtig erregen über diesen Egoismus städtischer Singles konnte sie sich heute nicht. Einsam war sie selbst. Und bald, fürchtete sie, würde sie ebenso verschroben sein wie ihre Nachbarin mit dem immer kahler werdenden Pudel.
    Was sie am Laufen schätzte, war die Tatsache, daß man nach der zigsten Umdrehung plötzlich abhob und, zumindest gedanklich, in einer anderen Galaxis landete. Sie hatte schon die kniffligsten Probleme eines Falls beim Joggen gelöst. An irgendeinem Punkt befreite sich das Hirn von seinen erdgebundenen Ankern namens Gewohnheit und Disziplin und schwebte davon. Auch heute waren ihre Gedanken weit schneller als das behäbige Tempo, mit dem sie sich durch den fast leeren Park schob. Nur war es nichts Bedeutendes, woran sie dachte, waren es keine juristischen Spitzfindigkeiten, die sie bewegten, sondern die viel schlichtere (und plötzlich viel wichtigere) Frage, mit wem sie in diesem Jahr in den Urlaub fahren würde.
    Es war schön, mit Marion unterwegs zu sein, mit dem Flugzeug nach London oder Paris zu fliegen oder mit dem Auto und wenig Gepäck gen Süden zu fahren. Es war nett, mit ihr in Bistros und vor Cafés zu sitzen und Männer zu taxieren. Und es tat sogar noch immer gut, mit Marion spätestens nach der zweiten Flasche Wein an der ewigen Frage zu scheitern, warum beide miteinander in den Urlaub fuhren – und nicht, wie andere Frauen auch, mit ihren jeweiligen Männern.
    »Sie machen sich im Bett immer so breit.« Marion guckte bei diesem Vorwurf meistens besonders traurig.
    »Sie lassen ihre schmutzigen Socken in der Badezimmerecke liegen.«
    »Sie sind geizig mit dem Trinkgeld.« Marion war für Karens Geschmack erheblich zu großzügig.
    »Sie kriegen in den unpassendsten Situationen einen Herzinfarkt.«
    Das war Karens stärkstes Argument gegen Männer. Aber irgendwie …
    »Keiner mag erfolgreiche Frauen im besten Alter«, hatte Marion kürzlich geklagt. Das hatte humorvoll klingen sollen. Doch Karen fürchtete mittlerweile, daß es nichts als die Wahrheit war.
    Dabei fühlte sie sich im Prinzip als glücklicher Mensch. Sie lebte allein in einer lichten, großzügig geschnittenen Westendwohnung. Kochte nur dann für mehr als eine Person, wenn Freunde kamen – was zwei-, dreimal im Jahr passierte. Schlief in einem Bett, das groß genug war für drei. Fühlte sich wohl, so allein – meistens jedenfalls. Weshalb es sie tief erschüttert hatte, als sie sich kürzlich eingestehen mußte, daß ihr die Vorstellung panische Schweißausbrüche verursachte, ihr Leben lang allein zu bleiben.
    Irgendwann würde sie ernstlich eine Anzeige auf dem Heiratsmarkt dieser Wochenzeitung aufgeben, die als so seriös galt. Aber wie formulierte frau, was sie vom anderen Geschlecht erwartete? »Suche Mann mit guten Manieren und trainiertem Verstand«? Ganz kurz nur blitzte ein Bild vor ihrem inneren Auge auf, das Bild eines Mannes mit blondem Haar und hellbraunen Augen. Und mit unglaublich starken Armen. Unwillig wischte sie es weg und versuchte sich auf ein anderes Bild zu konzentrieren. Auf das Bild eines Mannes, dem man von den Augen ablesen konnte, daß er sie ehren und begehren und nie langweilen würde. Aber die Leinwand blieb, allen gedanklichen Bemühungen zum Trotz, leer.
    Hinterher hielt sie sich zugute, daß der Gedanke an den Idealmann der Karen Stark ihr Vorstellungsvermögen derart strapaziert haben

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