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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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an.
    »Allmächtiger«, sagte Gottfried. »Was sind das für Zeiten, in denen es Gänse vom Himmel regnet?«
    »Und auch noch gebraten, wie es sich doch eigentlich nur für Tauben gehört!« Pauls Bemerkung trug ihm einen tadelnden Blick ein.
    Willi und Marianne kamen über die Straße. Sie hatten zwei tote Gänse auf ihrer Terrasse gefunden. Ortsvorsteher Wilhelm kam um die Ecke gebogen und sah, wie üblich, besorgt aus.
    »Man müßte sie präparieren«, sagte Gottfried. »So schöne Tiere.«
    Die Männer hatten die Hände in den Hosentaschen versenkt und starrten auf den Haufen aus nassen Federn und Gebeinen, der ihnen zu Füßen lag. »Kerle«, murmelte Marianne. Wilhelm hatte das Gesicht in Denkfalten gelegt. Aber selbst ihm fiel offenbar nichts Kluges oder gar Beruhigendes ein. Die Beckers und ihre Kinder flatterten wie aufgeschreckte Hühner herbei. Alle schraken zusammen, als die alte Martha auf ihrem Fahrrad um die Ecke bog, mit wehendem Haar und erhitztem Gesicht. Wie eine Rachegöttin, dachte Paul.
    »Die Zeit ist gekommen!« rief sie der Versammlung der Ratlosen zu. »Macht euch bereit!«
    »Martha! Fahr vorsichtig!« Wilhelm hätte fast nach ihr gegriffen.
    »Der Tag des Herrn ist gekommen!« Sie raste an den Männern vorbei die leicht ansteigende Straße hoch, Richtung Friedhof.
    »Martha, um Himmelswillen!« Wilhelm lief ihr nach. Der Schwung, der sie bis fast oben hin getragen hatte, verließ sie, das Fahrrad rollte aus, und die alte Frau stieg ab, legte es neben sich auf die Straße und senkte das Haupt mit der wilden weißen Mähne. Als Wilhelm sie beim Arm nahm, ließ sie sich zur Bank unter der Linde vor Gottfrieds Haus führen. Der Ortsvorsteher zog die Öljacke aus und breitete sie auf die nassen Holzplanken. Als die anderen näher kamen, saß Martha mit gesenktem Kopf auf der Bank und knetete ihre Hände.
    Paul sah Gottfried an, der die Handflächen nach oben drehte und die Schultern hochzog. Irre und Heilige sind manchmal so, schien seine Geste zu sagen.
    Als ob sie seine Gedanken erraten hätte, blickte sie ihn plötzlich aus weit aufgerissenen Augen an und sagte mit einem Grollen in der Stimme: »Mach dich bereit!«
    »Martha!« Wilhelm legte ihr beschwörend die Hand auf den Arm, die sie ungeduldig abschüttelte. Die alte Frau richtete sich auf, erhob sich von der Bank, glättete ihre Schürze, hob die Arme und breitete sie aus. Sie schien plötzlich viel größer geworden zu sein. Ihr Blick ging ins weite Nirgendwo und wie mit fremder Stimme begann sie – zu predigen. Man konnte das nicht anders nennen, dachte Paul. Sie sprach mit fremden Zungen.
    Vom Weltuntergang, der nahe sei. Von der Rache der gequälten Kreatur. Von der Notwendigkeit, Buße zu tun und Einkehr zu halten. Marthas Stimme wurde immer lauter, immer tiefer, ihre Augen blickten immer ferner.
    »Und die Menschen werden vergehen vor Furcht und Erwartung dessen, was über den Erdkreis kommen wird, denn die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden.«
    »Das Evangelium des Lukas, Kapitel 21, Vers 26«, sagte Erwin mit klarer Stimme. Paul sah ihn überrascht an.
    »Amen«, sagte Gottfried. Und Bello gab ein heiseres Grammeln von sich.
    Plötzlich kippte Marthas Stimme, ihr Gesicht, das bis dahin vor nahezu heiliger Strenge geleuchtet hatte, sank in sich zusammen. Ihre Augen waren mit einem Mal leer, sie stand mit erhobenen Armen wie verloren vor den Männern, die verlegen zu Boden guckten. Nur Wilhelm reagierte.
    »Komm Martha.« Er nahm sie in den Arm. »Ich bring dich nach Hause.«
    Alle, schien es Paul, waren verlegen. Kevin und Carmen hatten sich in die Arme ihrer Eltern geflüchtet, Marianne starrte auf den traurigen Haufen toter Gänse, und Gottfried tätschelte geistesabwesend Franz, den Hund.
    »Man muß die Zeichen lesen«, sagte der Bauer Müller. »Bei Rottbergen hat’s neulich einen Angler erwischt. Völlig verbrannt isser.«
    Ausgleichende Gerechtigkeit, dachte Paul. Wer gegen die Kreaturen des Wassers sündigt, wird mit Feuer bestraft.
    »Blitzschlag?« fragte Gottfried.
    Bauer Müller schüttelte den Kopf und zündete sich umständlich seine Pfeife an. »Der Idiot hat auf dem Bahnübergang mit seiner schicken neuen Karbonangel die Oberleitung berührt – 1500 Volt! Gegrillt hat’s ihn!« Müller stieß Rauchwolken aus. »Und dann hat ihn auch noch der Eilzug nach Bad Moosbach erwischt!«
    Marianne schüttelte sich. Plötzlich fiel allen irgend etwas ein, das man als Rache der geknechteten Kreatur deuten

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