Wasser zu Wein
führte.
»Hmmmh.« Willi fuhr fast täglich an den beiden großen Figuren vorbei, die vor dem Ortseingang von Haslingen für die Kirmes warben, große Puppen aus runden Strohballen; ein Strohweibchen mit Kopftuch und Schürze und ein Strohmännchen mit Batschkapp und Pfeife im runden Strohgesicht. Die Haslinger feierten die erste urkundliche Erwähnung ihres Kaffs vor 800 Jahren. Mit Hektolitern von Bier, Schnaps und Apfelwein und der Gruppe »Midnight Riders«.
»Einen Schoppen?« fragte Grün. »Vor dem Feierabend?«
»Feierabend ist dein Problem, Otto, nicht meines.« Willi dachte an all die Dinge, die er heute noch nicht erledigt hatte. Er hatte Marianne versprochen, die Wäschewiese abzumähen. Er mußte den neuen Unterstand für den Mähdrescher mit Holzschutzmittel streichen. Und den Mann vom »Verein für vom Aussterben bedrohte Haustierrassen« anrufen. Damit man sich mit den anderen hessischen Highland-Cattle-Züchtern zusammentun konnte.
Grün bückte sich und kraulte den kleinen graugetigerten Kater, der sich vor ihm auf den Boden geworfen hatte und die Pfoten von sich streckte.
»Na gut«, sagte Willi und betrachtete geistesabwesend Grüns mächtiges Hinterteil. »Weil du es bist.«
Kurz vor Haslingen stolperte ihnen eine halbe Busladung von frisch angelandeten Kirmes-Besuchern entgegen – Männer mit unüberhörbar guter Laune und geröteten Gesichtern. Der Festplatz, auf dem sonst Autos parkten, war mit Girlanden aus winkenden Fähnchen geschmückt und mit Birkenstämmchen, deren Blätter jetzt schon schlapp gemacht hatten. Grün steuerte eine lange Bank neben dem Festzelt an. »Halt schon mal die Stellung«, sagte er. »Ich hol uns zwei Schoppen.«
Willi setzte sich auf die Bank, stützte die Ellenbogen auf den Tisch mit den vielen nassen Bierringen, beguckte sich das Treiben und fühlte sich plötzlich unendlich müde. Irritiert schreckte er auf, als sein Ortsbeiratskollege Moritz ihm auf die Schulter hieb und »Ein Dorf im Widerstand, was?« rief.
»Hat sich das selbst zu dir schon herumgesprochen?«
»Ich bin auf eurer Seite!« Moritz setzte sich rittlings auf die Bank neben ihn. »Was plant ihr? Rechtliche Schritte?«
Willi nickte. Er mochte den Kerl nicht.
»Öffentlichkeit? Die Presse?«
»Bremer übernimmt das.«
Moritz schüttelte den Kopf. »Und daran glaubst du?«
Willi sagte nichts. Gerne gab er es nicht zu, aber Moritz hatte recht. Irgendwie glaubte er nicht daran, daß Paul Bremer von der Sache überzeugt war. Und seit es Gänse vom Himmel geregnet hatte – Willi sah mit zusammengekniffenen Augen den mit Tempo über den Himmel ziehenden Wolken hinterher: Wind aus Norden, eine ziemlich ungewöhnliche Wetterlage – seit der Sache mit den Weißwangengänsen gestern hatte selbst er, sonst kein Mann des Aberglaubens, eine seltsame Vorahnung. Von Verhängnis, Unglück und Tod.
»Das wird nix«, murmelte er zwischen zusammengebissenen Zähnen.
»Was sagst du?« Moritz war ungeniert neugierig.
»Daß dich das alles nichts angeht, du Spinner!«
Gott sei Dank kam in diesem Moment Otto Grün wieder, zwei gerippte Gläser mit Apfelwein in den Händen. »Na denn!« sagte Moritz und ging.
11
An diesem Tag war alles wie verhext. Das hatte gleich morgens angefangen. Erst wäre Bremer fast über Mariannes schwarzweißen Kater gefallen, der ihm eine tote Maus auf den Türvorleger gelegt hatte und auf Lob wartete. Dann kam laut schreiend die kleine graue Katze um die Ecke gehinkt, die er vor zwei Monaten aus der Regentonne gefischt hatte, kurz bevor sie ersoffen wäre. Er hing an dem Tier, das trotz bestem Dosenfutter – natürlich nur »Premium« für die verwöhnten Biester – einfach nicht wachsen wollte. »Inzucht« hatte Marianne schulterzuckend dazu gesagt.
Er hatte das Tier in ein Handtuch gepackt und zum Tierarzt gefahren – für die Haustiere war Otto Grüns Tochter zuständig. Die kläffenden und stinkenden Hunde, neben denen sie über eine Stunde lang ausharren mußten, waren beiden an die Nerven gegangen. Das kleine Tier auf seinem Schoß hatte nicht aufgehört zu zittern. Und Paul hatte immer öfter auf die Uhr geguckt. Er wollte schließlich noch nach Wingarten fahren.
Aber sein Dorf krallte sich regelrecht an ihm fest. Als er mit der Katze nach Hause kam, mußte er Marianne beim Überreden ihres betagten Rasenmähers helfen. Dann kam der alte Wilhelm mit dem geschnittenen Brennholz vorbei; daß das noch ausstand, hatte er ganz vergessen gehabt. Bis er das Holz im
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