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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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was sie bedauerte. Dann überließ sie sich wieder der ungewohnten Passivität und den Händen der Rettungssanitäter.

10
    Klein-Roda in der Rhön
     
    Willi redete sich ein, daß alles gutgehen würde, während er mitten im Hofstand, eine Zigarette rauchte und Marianne zusah, wie sie ihre braunweißen Holsteiner nach dem Abendmelken aus dem Stall heraus und auf die Weide trieb. Es war völlig unvorstellbar, daß sich die Herrschaften da oben an seinem kerngesunden Vieh vergriffen. Otto Grün, der sich in der Waschküche die Hände gewaschen hatte und sie nun an einem rotweißkarierten Küchenhandtuch trocknete, stellte sich neben ihn und guckte dem Schauspiel ebenfalls zu. Mit einem trockenen Schmatzen landete der armdicke Buchenstock auf den Flanken der trödelnden Tiere, begleitet vom melodischen Ruf »Aaauf«. Es war jeden Tag das gleiche Theater: einmal morgens und einmal abends.
    »Mariannes Probleme hast du nicht mit deinen Viechern, Willi, oder? Weder wunde Euter noch Kälbchen in Steißlage, was?« Der Tierarzt hatte vorhin einer Kuh beim Kalben geholfen. Bei Mariannes Kühen war das Schwerarbeit.
    »An denen ist kein Geld zu verdienen, Otto.« Willi hielt Grün die halbvolle Zigarettenschachtel hin. Der legte sich das Handtuch über die Schulter, nahm sich eine und ließ sich von ihm Feuer geben. Sie rauchten in schweigendem Einvernehmen, wie es Männer tun, die sich schon lange kennen. Das beruhigte.
    Nach einer Weile sagte Grün: »Ich weiß nicht, ich weiß nicht.« Willi fiel auf, daß er ihn nicht anguckte dabei. »Wir haben 780 Highlander in Hessen. Wenn die alle gekeult werden sollen – das wäre ein Blutbad.«
    Willi knurrte. Und spürte, wie eine maßlose Hilflosigkeit in ihm aufstieg – ein völlig unvertrautes Gefühl, das ihn nur noch wütender machte. Er warf seine Kippe auf den Boden und trat sie mit heftigen Bewegungen in den Staub.
    »Kann das denn wirklich sein, daß der Bulle vom Meier in Oberhunden BSE hat?« fragte Grün nach einer weiteren Gedankenpause, noch immer, ohne Willi anzusehen. Der hatte sich das auch gefragt, die halbe Nacht lang, um genau zu sein.
    »Keine Ahnung. Eigentlich nicht möglich. Aber vielleicht ist er heimlich mit Tiermehl gefüttert worden.«
    »Futtermehl aus Tierkadavern wird in Deutschland nicht produziert. Und darf seit 1989 nicht mehr eingeführt werden.« Grün wußte sehr wohl, was in der Landwirtschaft alles möglich war, obwohl es nicht erlaubt war.
    »Dann hat er’s geerbt, und das wäre eine noch größere Katastrophe«, sagte Willi. »Immerhin ist man bislang davon ausgegangen, daß BSE nicht vererbt werden kann.« Wenn die Rinderwahnsinnsscheiße vererbbar wäre, gäbe es keine Rettung für seine Herde. Denn alle Zuchttiere waren irgendwann einmal aus Großbritannien eingeführt worden. Aus dem Mutterland des Rinderwahns. Auch seine Herde hatte britische Vorfahren.
    »Andere Möglichkeit: Der Bulle war gar kein in Deutschland geborenes Tier.«
    Willi nickte. Er hatte von falschen Papieren und illegalem Rinderschmuggel von Großbritannien nach Deutschland gelesen. Wer zum Teufel machte so etwas? Welche Dreckskerle bereicherten sich auf Kosten aller?
    »Der Meier hat mir mal erzählt, wie wenig er für seine Zuchttiere bezahlt hat.« Grün sog an der Zigarette und wippte mit dem Fuß. »Ein Schnäppchenangebot ist ein sicheres Indiz dafür, daß irgend etwas nicht stimmt. Gute Tiere haben ihren Preis.« Er stieß den Rauch geräuschvoll aus. »Geizkragen wollen betrogen werden.«
    Willi Kratz fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. Er hatte damals wochenlang ein schlechtes Gewissen gehabt, als er Bess und Blume und Zeus gekauft hatte. Er hatte ein Wahnsinnsgeld bei dem Züchter gelassen. Einfach nur, weil er die drei haben wollte. Besitzen wollte. Und nun schien sich die Geldverschwendung doch gelohnt zu haben.
    »Otto«, sagte er mit vor Erleichterung rauher Stimme, »ich habe viel zu viel für die Kerle bezahlt.«
    »Dann gibt’s ja Hoffnung.« Grün warf die Kippe vor sich auf den Boden und stellte den Fuß in dem braunen Schuh mit der Stahlkappe darauf. »Und übrigens: In Haslingen ist Kirmes.«
    Noch immer sah er Willi nicht an und schaute mit ihm Marianne und ihren Kühen hinterher, deren Hinterteile in behäbigem Rhythmus nach rechts und links ausschwenkten. Ihr »Aaauf« wurde immer leiser, je kleiner ihre Gestalt sich oben auf dem Friedhofsweg abzeichnete, kurz bevor er in den Feldweg mündete, der zu den Koppeln und Wiesen

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