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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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trinkenden, lachenden und essenden Menschen, kämpfte das Verlangen nach einer dieser langen, braun gebratenen Thüringer Rostbratwürste – mit viel Senf! – erfolgreich nieder und legte Willi die Hand auf die linke Schulter.
    »Hau ab«, zischte Willi. Paul wußte nicht, womit er sich diesen Zornesausbruch jetzt schon verdient hatte, und grinste erleichtert zurück, als sein Nachbar ihn mit einem »Ach du bist es!« anlachte.
    »Komm, rutsch rein. Und trink einen.« Willi schob ihm das Glas hin, das Grün soeben vor ihn hingestellt hatte.
    »Lieber nicht. Ich muß noch fahren.«
    »Na, die paar Meter!«
    »Nicht nach Klein-Roda.«
    »Nicht?« fragte Willi. »Nach Frankfurt?«
    Paul fühlte sich unendlich kleinlaut. »Ich muß ein paar Tage fort. Mein Großonkel aus Wingarten hat mir geschrieben.« Der letzte Verwandte, mit dem ihn noch irgend etwas verband. Aber das sagte er nicht, denn daß er seinen eigenen Vater schon seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte, würde hier niemand verstehen. »Der Mann liegt im Sterben.« Er hoffte, daß Frieder Wallenstein ihm die fromme Lüge verzeihen würde.
    Willi schob einen nassen Bierdeckel mit dem Zeigefinger von links nach rechts und wieder zurück. Otto Grün tat so, als ob er einer schwarzhaarigen Frau in knallengen Leggins um die prallen Schenkel hinterherguckte.
    »Wie lange bleibst du?« Willi guckte immer noch nicht hoch.
    »Drei Tage, höchstens.« Daran glaubte er aus irgendwelchen Gründen plötzlich selbst nicht mehr. »Wenn ich zurückkomme, machen wir es so, wie wir es besprochen haben.«
    Willi nickte bedächtig. »Laß man, Paul.«
    »Bestimmt, Willi.« Er fühlte sich wie ein Verräter.
    Sein Nachbar legte ihm die Hand auf den Unterarm. »Komm du erst mal zurück, verstehste?«
    Bremer merkte, wie ihm die Kehle eng wurde. Grün schob ihm das gerippte Glas zum zweiten Mal hin. Diesmal hob er es hoch, prostete den beiden zu und sagte dann, überwältigt von dem Gefühl, daß er hierher gehörte und nirgendwo andershin: »Wird schon. Sollst mal sehen.«
    Die nächste Runde holte er.

12
    Klein-Roda in der Rhön und Wingarten am Rhein
     
    Widerwillig stieg Paul am nächsten Tag in sein Auto. Widerwillig hatte er gepackt, wahrscheinlich die Hälfte vergessen, bei seinem dicken Kopf. Widerwillig hatte er das Fahrrad auf den Gepäckträger geschnallt, widerwillig war er von der Hauptstraße wieder zurückgefahren, um doch noch sein Notebook zu holen. Man wußte ja nie.
    Alles schien ihn zum Dableiben überreden zu wollen. Er fühlte sich wie magisch angezogen und festgehalten von den Schönheiten der Landschaft, die er soeben verließ; unwillkürlich nahm er den Fuß vom Gas beim Blick auf das große bewaldete Massiv, umkränzt von Segelfliegern, die in der Thermik ihre Runden zogen; auf die Dörfer am Hang des großen Hügelrückens, an dem vorbei er Richtung Autobahn fuhr; auf das Flüßchen, das er bei Oberzell überquerte.
    Erst weit nach Frankfurt hatte er das Gefühl, daß er Klein-Roda endlich hinter sich gelassen hatte. Als die Autobahn überging in eine Schnellstraße am behäbig fließenden Rhein, war es, als ob er eine Grenze überschritten hätte. Er murmelte die Namen der Dörfer wie längst vergessene Kosenamen: »Vinningen, Bassenheim, Katerberg, Klingelheim, Geisberg.« Und fühlte, mit einem letzten Bedauern, wie Klein-Roda zurückwich und sich eine andere unwiderstehliche Macht an seine Stelle setzte, die ihn vorwärtszog.
    Die Straße führte direkt am Rhein entlang, gegenüber, auf dem anderen Ufer, sah man Fabrikhallen, Kirchtürme, Hochhäuser. Dann wurde das Flußbett breiter, immer breiter, die Strömung umspielte den gelbangestrichenen Turm mit den ockerfarbenen Zinnen mitten im Wasser, und in den Weinbergen über ihm hockte die graue Ruine einer Burg. Linker Hand gabelte sich der Fluß, und man sah in der Ferne die römische Brücke, die ihn dort seit fast zweitausend Jahren überspannte. Schließlich wurde das Flußtal wieder enger, über ihm klebten die Weinreben an schroffen Abhängen, und am anderen Ufer sah man keine Dörfer und Häuser mehr, nur noch bewaldete Berge aufsteigen. Bremer öffnete das Fenster weit und glaubte, das Wasser zu riechen, das dem Meer entgegenrollte, das Dieselöl, das der Kohlekahn verbrannte, der sich mit stampfendem Maschinengeräusch stromaufwärts arbeitete, das Parfüm der Frau am Steuer des offenen Cabrios, das ihn mit hoher Geschwindigkeit überholte.
    Hinter der nächsten Flußbiegung mußte es

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