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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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können.
    Plötzlich verstand er den Anfall von Sehnsucht nicht mehr, der ihn hierhin getrieben hatte. Angeblich war nichts schwieriger als zurückzukommen zu den Stätten der Kindheit – weil es Illusionen tötete und geschönte Bilder wieder realistisch machte. Er bildete sich ein, keine Illusionen gehabt zu haben. Nichts war schöner gewesen, früher. Und nichts konnte die Vergangenheit verklären. Nur die Perspektive hatte sich verändert. Heute war der Fluß nicht mehr so breit, waren die Häuser nicht mehr so groß und die Weinberge nicht mehr so grün – und die Freunde nicht mehr so vertraut.
    Sebastian Klar war ein netter Kerl mit weißblonden Haaren gewesen, ein bißchen pummelig, vergnügt, unternehmungslustig, nicht so verklemmt, wie Bremer sich selbst in Erinnerung hatte. Gestern am Telefon aber war ihm Sebastian überdreht vorgekommen – und sein Selbstbewußtsein aufgesetzt. Der Besitzer der »Traube« wirkte angespannt.
    »Aber du mußt bei uns absteigen!«
    »Gerne, Sebastian, aber …«
    »Selbstverständlich zu Sonderkonditionen!«
    Woher wußte er, daß Paul sich zweifelnd gefragt hatte, wie viele Übernachtungen in der Traube er sich würde leisten können?
    »Ich – wir – Elisabeth – also wir freuen uns, daß du endlich wieder in die alte Heimat kommst!«
    »Wie geht es euch beiden?«
    »Prächtig, alter Junge, ganz prächtig!«
    Prächtig? Sagte man das über eine Ehe, die, wenn er richtig gerechnet hatte, nun auch schon weit über zehn Jahre alt war?
    »Auf jeden Fall reserviere ich dir einen Platz beim Galadiner am Samstagabend.« Sebastian raschelte mit Papier. Paul hatte ihn vor sich gesehen, geschäftig im Reservierungsbuch blätternd. War ihm nach Galadiner?
    »Also Sebastian –«
    »Ist doch gar kein Problem!«
    Der Enthusiasmus seines alten Freundes hatte künstlich geklungen. Oder lag das nur daran, daß der Besitzer der »Traube« mittlerweile der Bussi-Welt der Erfolgreichen angehörte? Paul hatte sich aus einer vielversprechenden Karriere verabschiedet – Sebastian hatte sie gemacht, ebenso wie Panitz, den sie immer den dicken August genannt hatten. Die alten Freunde stellten was dar in der Welt im Gegensatz zu ihm.
    »August gibt uns die Ehre. Er gestaltet die Moderation zwischen den Gängen.« Sebastian klang salbungsvoll. Paul hatte es als Warnung genommen: Man mußte nicht nur essen und trinken, sondern sich auch noch belehren lassen dabei.
    »Ich freu mich auf dich, Paul.« Sebastian raschelte wieder ins Telefon. Paul hatte das Gefühl, daß er das Gespräch dringend beenden wollte.
    »Hast du Großonkel Wallenstein in der letzten Zeit mal gesehen?«
    Klar hatte bei der Antwort kaum merklich gezögert. »Er geht nicht mehr aus dem Haus, soweit ich weiß.«
    »Und hast du mal wieder was von Evchen gehört?«
    »Wirklich schön, daß du kommst.« Der alte Freund hatte völlig geistesabwesend geklungen. »Wirklich schön!«
    Irgend etwas stimmte nicht mit dem Mann, hatte Paul noch gedacht. Und mit diesem Gefühl schlief er wieder ein – und träumte von gigantischen Elchköpfen.
    Als er am nächsten Morgen nach dem Frühstück nach Sebastian fragte, sah ihn der Mann an der Rezeption kurz an, hob die Schultern und blätterte dann wieder im Hotelregister. »Sie wissen ja: die Gala heute abend, Herr Bremer.«
     
    Die mittelblonde Frau, die ihm die Tür öffnete, war nicht mehr ganz jung und sah blaß aus. Aber sie strahlte ihn an, als er »Ich bin der Großneffe von Frieder Wallenstein« sagte und hielt ihm die Tür weit auf.
    »Er hat so auf Sie gewartet.« Sie sprach mit Akzent. Polnisch? Wahrscheinlich, dachte Paul. Dann trat sie zur Seite, um ihn in den Hausflur zu lassen. Die vertrauten Gerüche schlugen ihm entgegen, eine Mischung aus Bohnerwachsgeruch, Kellerduft und Küchendünsten. Er meinte sogar den Duft des Pflaumenbaums vor seinem ehemaligen Zimmerfenster auszumachen, der immer um diese Jahreszeit zu blühen begonnen hatte. Er zog die schwere Haustür hinter sich zu. Rechts von der Tür, in der Ecke, stand es immer noch – das Gewehr, mit dem Paul schießen gelernt hatte. »Nur was man nicht beherrscht, ist gefährlich«, hatte Wallenstein gesagt, als irgend jemand daran Anstoß genommen hatte, schon einem Buben eine Waffe in die Hand zu geben.
    Den Weg hätte er auch allein gefunden. Aber die Frau ging voran, an der graugestrichenen Tür vorbei, die hinunter zum Weinkeller führte, vorbei an der angelehnten Küchentür bis zum Wohnzimmer – Herrenzimmer

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