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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Schuppen gestapelt hatte, war wieder eine Stunde vergangen. Und dann waren da noch all die anderen Kleinigkeiten, die plötzlich erledigt werden wollten, als hätte das nicht auch Zeit bis übermorgen. Oder überübermorgen. Oder nächste Woche.
    »Du bist doch höchstens ein paar Tage weg« – das meinte jedenfalls der Teil seiner Persönlichkeit, der für das richtige Augenmaß zuständig war. Der andere Teil bestand darauf, das Haus so zu hinterlassen, als ob es dem Nachmieter besenrein übergeben werden müßte. Irgend etwas ließ ihn nicht gehen – ein Gedanke, der sich aufdrängte, als er sich plötzlich, nachdem er den Abwasch erledigt, den Kompost zur Tonne getragen und die Mülleimer ausgeleert hatte, mit von Erde schweren Turnschuhen unkrautjätend im Gemüsebeet wiederfand. Es war schon Nachmittag, und er hatte noch nicht einmal gepackt.
    Wollte er vielleicht gar nicht nach Wingarten fahren? Dorthin, wo alles ihn erinnerte an eine Zeit, die er lieber vergessen würde? Wie oft hatte er sich in dem kleinen Weinnest wie lebendig begraben gefühlt. Aber konnte er Wallenstein im Stich lassen? Bremer seufzte und zog zwei lange Wildtriebe des Stachelbeerbäumchens aus der Gartenerde. Er ließ, um ehrlich zu sein, den alten Herrn schon seit Jahren im Stich. Und warum? Erinnern tat weh. Nicht erinnern sollte zwar auch nicht sehr gesund sein, aber …
    Mit plötzlicher Wut attackierte er einen Löwenzahn unter dem Salbeistrauch. Er fühlte sich wie das Kind im kaukasischen Kreidekreis: zwischen zwei Frauen, die sich um ihn rissen – natürlich nur aus Liebe. Wingarten rief. Und Klein-Roda ließ nicht los. Beide forderten mit gleichem Recht seine Anwesenheit, seine Anteilnahme, seine Zuneigung. Wie immer er sich entschied: Eine würde er enttäuschen müssen.
    Mit hilflosem Zorn sah er sich plötzlich im alten Dilemma wieder – und diesmal war es unausweichlich. Was immer er auch tat, würde den Charakter einer Fahnenflucht haben. »Immer wenn dich jemand braucht, bist du nicht da«, murmelte er. So war es gewesen, als Sibylle an der Totgeburt ihres gemeinsamen Kindes fast gestorben wäre. Und so war es auch, als Anne in Todesgefahr geschwebt hatte.
    Er schwang verbissen die Gartenhacke. Am liebsten hätte er sich vor der Entscheidung gedrückt. Man konnte ja immer noch auswandern. Aber flüchten galt nicht. Und wer den Knoten nicht lösen konnte, mußte ihn eben durchhauen. Mit einem letzten Schlag köpfte er einen weiteren Löwenzahn, der sich unter den Busch mit der Zitronenmelisse geduckt hatte. Dann hatte er sich entschlossen. Nur Willi mußte er fairerweise sagen, warum er nicht da sein würde in den nächsten Tagen. Montag bist du zurück, redete er sich ein. Rechtzeitig genug, um dem Dorf in seinem gerechten Kampf beizustehen.
    Er räumte das Gartenwerkzeug in den Schuppen, wusch sich die Hände und ging zum Nachbarhof rüber. »Die sind eben erst weg, Willi und Otto«, rief ihm Gottfried zu, der nicht nur Bremers Haus, sondern auch den nebenan liegenden Hof von Marianne und Willi fest im Blick hatte. »Einen heben. Auf der Kirmes in Haslingen.«
    »Ich muß ein paar Tage fort, Gottfried!« Paul ging hinüber zu seinem Nachbarn, der die Fäuste in die Seiten gestemmt hatte und dem tapsigen Fellknäuel von Hund zusah, das mit begeistertem Japsen nach einem quietschenden, knatschroten Gummiball schnappte. Gottfried sah kurz hoch und dann gleich wieder weg. Bremer glaubte einen enttäuschten Seufzer zu hören.
    »Ich bleibe nicht lange.« Irgend etwas mußte er ja sagen.
    »Du mußt mit Willi reden.« Gottfried sah ihn immer noch nicht an. Bremer nickte und stöhnte, nach einem Blick auf seine Armbanduhr, resigniert auf. »Ich weiß.« Hoffentlich war Willi Kratz noch halbwegs nüchtern.
    Bremer mußte sein Auto weit vor dem Ortseingang auf der Wiese parken. Es war Donnerstagnachmittag, die Sonne schien, wenn auch leicht verhangen von dünnen Zirruswolken, es war frühsommerlich warm, und die halbe Rhön schien auf den Beinen, um in Haslingen den Feierabendschoppen zu trinken. Er zwängte sich durch die Bankreihen vor dem Festzelt und war sich nicht sicher, ob er Willi jemals finden würde. Unübersehbar war nur Otto Grün, der mit zwei vollen Gläsern in der Hand von der Getränkeausgabe kam.
    »Otto!« Paul winkte. Grün schwenkte sein beeindruckendes Kinn nach rechts, wo Paul schließlich das vertraute kleine Hütchen auf den dunklen Locken erblickte. Er bahnte sich seinen Weg durch die Reihen mit

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