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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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hatte Wallenstein es immer genannt.
    »Herr Wallenstein, Besuch!« Sie bollerte an die Zimmertür, öffnete sie und verabschiedete sich mit einem Augenzwinkern. Bremer lächelte zurück, trat behutsam ein und schloß ebenso behutsam die Tür. Wallenstein saß am Fenster, das leicht offenstand und vor dem sich weiße Gardinen bauschten, auf den Knien eine rotkarierte Wolldecke und ein Buch. »Paul!« sagte er. Bremer kämpfte gegen die Rührung, die ihn beim Anblick des alten Mannes überfiel. Die großen, grauen Augen über der windschiefen Nase waren noch größer als früher, eingesunken in dem schmalen Gesicht unter dem dunklen Haarschopf. Der Kragen schnürte den faltigen Hals ein, und die Lesebrille war ihm auf die Nasenspitze gerutscht.
    Erst als er ein paar Schritte in den Raum hineingegangen war, fiel ihm auf, daß Wallenstein nicht im Sessel saß, auf seinem Lieblingsplatz unter dem Fenster, dort, wo er immer gesessen hatte. Wie als Reaktion auf seinen Blick griff der alte Mann in die Räder seines Rollstuhls und drehte sich ein wenig, so daß ihm das Licht von draußen über die Schulter fiel.
    »Ist eine segensreiche Erfindung, so ein Rollstuhl.« Wallenstein lächelte. Fast entschuldigend sah er an sich hinunter, an der dünnen, karierten Decke entlang, unter der sich die Umrisse von Oberschenkeln und Knien abzeichneten.
    Paul schluckte beim Anblick dieser zerbrechlichen Gestalt.
    »Es gibt nur einen Haken dabei« – der alte Herr deutete mit einem Schwenk seines Kinns auf die Vitrine mit den Weingläsern.
    »Du kannst nicht mehr allein in den Keller gehen.« Bremer räusperte sich. Wieso hatte er plötzlich eine belegte Stimme?
    Wallenstein lachte wieder. Es klang ein bißchen müde. »Seit zwei Jahren schon nicht mehr. Kannst du dir das vorstellen? Und wenn Hannes Janz nicht die ganze Arbeit übernommen hätte, gäbe es auch keinen neuen Wein mehr da unten.«
    Ein Kratzen an der Tür und ein klagendes Geräusch ließen Paul zusammenzucken. Frieder Wallenstein griff wieder in die Räder, drehte seinen Rollstuhl herum, rollte zur Tür und öffnete sie.
    »Zigeuner!« Der Hund kam mit gesenkter Rute ins Zimmer und schnüffelte desinteressiert an Bremers Hosenbein.
    Wallenstein schüttelte den Kopf. »Der dritte oder vierte, wenn mich nicht alles täuscht. Er kennt dich nicht.«
    Der Hund hob seine silbergraue Schnauze, sah kurz an Bremer hoch und wandte ihm dann den Rücken zu. Auf einer Decke links unter dem geöffneten Fenster drehte er mit steifen Beinen eine Pirouette und ließ sich dann mit einem zufriedenen Schnaufen fallen. »Er ist so müde und so alt wie ich«, sagte Wallenstein.
    »Ich hätte früher kommen sollen.«
    »Ja.« Auch der Alte kämpfte mit seiner Rührung. »Aber es ist noch nicht zu spät.«
     
    Teil II
    Doppelmagnum

1
    Wingarten am Rhein
     
    Maximilian von der Lotte schüttelte mit einem leisen »Plopp!« seine gestärkten Manschetten aus, überprüfte ihren korrekten Sitz und polierte mit angefeuchtetem Zeigefinger die beiden mattsilbernen Manschettenknöpfe, die ihn als Mitglied des Cercle International des Chevaliers de l’Art de Vivre auswiesen. Dann straffte er sich und schritt mit erhobenem Haupt in den Saal – was man an körperlicher Größe nicht mitbrachte, mußte man eben mit innerer Haltung ausgleichen. Sebastian Klar stand an der weitgeöffneten Flügeltür und machte die Honneurs – zusammen mit Frau Elisabeth, die ganz und gar nicht so aussah, als ob ihr das sonderlich viel Spaß machte.
    »Gnädige Frau!« Von der Lotte beugte sich über ihre Hand.
    Er verstand nicht ganz, warum sie ihn so abweisend behandelte. Ob sie ihm immer noch übel nahm, daß er sie damals, bei der großen Raritätenweinprobe vor eineinhalb Jahren, beiseite genommen hatte, um sie darauf aufmerksam zu machen, daß ihre Anwesenheit, nun ja, gewisse Irritationen auszulösen in der Lage war? Er rümpfte die schmale Nase. Auch heute roch sie wieder: nach Lavendelseife und Zigarettenrauch.
    Damals hatte er ihr klarzumachen versucht, daß stark parfümierte Personen bei einer Weinprobe die Geruchswahrnehmungen aller Anwesenden erheblich beeinträchtigen. »Das ist fast so schlimm wie duftende Rosen oder Maiglöckchen als Tischdekoration!« Er war freundlich gewesen und sachlich, fand er. Und hatte dann hinzugefügt, daß auch ihr eigener Geruchs- und Geschmackssinn unempfindlich zu werden drohe, wenn sie den Tabakkonsum nicht einstellte. Sie hatte eisig reagiert. Dabei hatte er es nur gut

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