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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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unerträglich. Er nahm ihr die Luft. Er erstickte sie mit all der Fürsorge, die er ihr zuteil werden ließ. Er schien sie ständig zu beobachten. »Wird es dir auch nicht zuviel?« hatte er sie vorhin gefragt und Anstalten gemacht, sie in den Arm zu nehmen. Er erdrückte sie mit seiner Liebe. Wenn er doch einmal laut werden würde! Wenn er sie doch einmal an den Schultern nehmen würde, sagen: »Es ist vorbei, Elisabeth! Das Leben geht weiter!«
    Sie holte tief Luft und hob wieder das Glas gegen das Licht. Er würde das nie sagen, obwohl er es dachte. Und es würde ja auch nichts nützen. Für sie war es nicht vorbei. Für sie gab es keine Erlösung – nur das ewige Warum. Und einen nie verstummenden Chor von Selbstvorwürfen. Hättest du damals nicht … Hätte nur Agata an diesem Tag nicht … Wäre Bettine bloß …
    Elisabeth nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette, stand wieder auf und ging hinüber zum Klavier. Sie ließ die Finger über die Tasten gleiten. Selbst das, dieses alte Zaubermittel, funktionierte nicht mehr.
    Das einzige, was half, war der Gedanke an Eva.
    Die Therapeutin hatte sie darauf gebracht. Elisabeth verzog den Mund, als sie an die therapeutischen Sitzungen dachte, die sie eine Zeitlang dreimal die Woche absolviert hatte. Sebastian hatte ihr zugeraten – zuerst. Zuerst hatte es ja auch geholfen. Reden. Und Weinen. Und Weinen. Und Reden. Aber all das andere klappte gar nicht: »Die Trauerarbeit«, wie Frau Noll es nannte. »Man muß den Schmerz zulassen«, hatte sie immer gesagt. Geradezu schwärmerisch. »Und ihn dann – loslassen!« Das hatte eher nach Zirkuskunststückchen geklungen.
    Elisabeth blies Zigarettenrauch über die Kerzen auf dem Klavier. Die Flammen bogen sich zur Seite, und für ein paar Sekunden geriet das ganze Zimmer in flirrende goldene Unruhe. Sie konnte nicht loslassen. Es hatte sie nicht losgelassen. Die Frage aller Fragen: Warum?
    Das einzige, was half, war der Gedanke an Eva Lambert. »Es nützt nichts, daß Sie sich Vorwürfe machen«, hatte die Therapeutin irgendwann gemahnt. »Denken Sie lieber an die Frau. Und welche Verzweiflung sie dazu getrieben haben mag, so etwas Furchtbares zu tun.« Die Täterin sei womöglich auch ein »Opfer« gewesen, hatte Frau Noll vermutet. Seither gab Elisabeth Klar der Mörderin ihres Kindes all das Mitgefühl, das sie sich selbst nicht gönnte.
    Sie nahm den Rahmen mit dem Hochzeitsfoto hoch. Mit dem Foto eines strahlenden Paars: Sebastian voller Besitzerstolz, sie als demütige Braut. Elisabeth verzog wieder den Mund. Das war vorbei. Weshalb sie über das Foto ein anderes Bild gesteckt hatte, das das Brautpaar halb verdeckte. Ein Foto, das sie aus der Zeitung ausgeschnitten hatte. Und dessen Anblick ihr jedes Mal wieder wie ein elektrischer Schlag in die Knochen fuhr. Es war das Gesicht einer Frau, blonde Haare konnte man erkennen; daß die Farbe der blutunterlaufenen, halb geöffneten Augen blau war, sah man nicht, man konnte es vielleicht vermuten. Auch die Lippen waren leicht geöffnet, man sah die oberste Zahnreihe blitzen. Die Frau trug einen blutigen Riß auf der Stirn, irgend etwas stimmte nicht mit den Proportionen des Gesichtes, des Kopfes. Es war das Bild einer Toten.
    Es sei sehr schwer gewesen, ihr Gesicht wenigstens so weit zu rekonstruieren, daß man das Foto zu Zwecken der Identifizierung an die Presse geben konnte, hatte es in der Zeitung geheißen. Denn zunächst hatte niemand gewußt, wem die zerfetzten Überreste der Frau gehörten, die sich in der Kirche von Lambsheim beim Hochamt am Pfingstsonntag in die Luft gesprengt hatte. Ihr Mann hatte sie schließlich identifiziert: als Eva Lambert. Getrennt lebend. Mutter eines Sohnes, der kurz vor seinem 20. Geburtstag gestorben war. Seither schwer depressiv, in psychiatrischer Behandlung und ständig unter Drogen.
    Elisabeth strich mit dem Daumen den Zeitungsausschnitt glatt. Niemals, niemals hätte sie Eva wiedererkannt. Und auch alles andere, was in der Zeitung stand, hätte sie niemals mit Eva in Verbindung gebracht. Mit ihrer Schulfreundin Eva, dem schönsten und beliebtesten Mädchen im Dorf – dem glücklichsten, wie sie immer geglaubt hatte. Sie hatte Eva stets beneidet – so, wie man eine beste Freundin eben beneidete: heimlich.
    Elisabeth nahm Aschenbecher, Glas und Zigarettenschachtel mit zum Sofa, stellte alles auf das kleine Tischchen daneben und setzte sich, die Beine angezogen. Dann zündete sie sich wieder eine Zigarette an.
    Vielleicht würde man

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