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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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heute darüber lachen können. Damals wäre sie am liebsten vor Scham gleich wieder hinausgelaufen aus dem großen Saal, dem Festsaal hinter der Gaststätte Klingelberger, wo man in Wingarten feierte, wenn es eine Hochzeit gab oder eine Trauerfeier oder – einen Abtanzball, den Ball am Ende der Tanzstundensaison.
    Sie erinnerte sich gut, wie sie damals diesem Ereignis entgegengebangt hatte – und wie erleichtert sie zugleich war, daß es danach vorbei sein würde mit der Tanzstunde, dieser steifen Veranstaltung, auf der sie meistens das Mauerblümchen war. Selbst bei Damenwahl hatte sie nie das Gefühl gehabt, sie hätte wirklich eine Wahl. Der Abtanzball war Gott sei Dank der letzte Abend, an dem sie sich von verlegenen Knaben über das Parkett schieben lassen mußte, die nach Bier und tabac rochen und nach altem Schweiß in Nyltesthemden.
    Es war schon eine halbe Stunde über der Zeit gewesen, als sie sich endlich hineingetraut hatte in den Saal. Die Angst, daß irgendeiner sie schief ansehen, daß irgendeiner lachen, sich über sie lustig machen würde, hatte sich als völlig überflüssig erwiesen. Als Elisabeth sich durch die Tür drückte, waren alle Augen nur auf eine gerichtet: auf Eva, die mit geröteten Wangen mitten im Saal stand, in einem weit schwingenden hellblauen Kleid mit großen, dunkelblauen Punkten, mit langen Handschuhen an den Händen und mit einer Perlenkette um den Hals. Das Kleid war schulterfrei und hinten tief ausgeschnitten. So etwas hatte man noch nie gesehen bei gesellschaftlichen Ereignissen in Wingarten. So etwas trug man nicht in Wingarten.
    Elisabeth drückte Mönch an sich, der sich an sie herangeschlängelt und den Kopf gegen ihren Oberschenkel gelehnt hatte. Sie wäre mit weniger zufrieden gewesen. Sie hätte alles in der Welt für ein schlichtes Sommerkleid gegeben, wie es bei Lausers im Fenster hing und das, wie sie wußte, zwei der anderen Mädchen von ihren Eltern geschenkt bekommen hatten. Aber ihre Eltern wollten davon nichts wissen. »Für das eine Mal?« hatte ihre Mutter mit abweisendem Blick gesagt. »Sieh zu, wie du zurecht kommst«, hatte ihr Vater gemurmelt, der sich bei »so was« immer heraushielt.
    Ihrer Mutter wäre es wahrscheinlich am liebsten gewesen, sie hätte den Faltenrock angezogen mit der weißen, hochgeschlossenen Bluse. Statt dessen hatte Elisabeth schließlich das schwarze Konfirmationskleid aus der Truhe geholt, lila Chiffonärmel dran genäht und sich einen Veilchenstrauß angesteckt. Sie mußte ausgesehen haben, als ob sie magersüchtig wäre. Am Tisch hatte sie Gott sei Dank niemand angesprochen, ihr Tischherr konnte die Augen nicht von Eva lassen. Bis endlich Evas Vater glaubte, sich ihrer annehmen zu müssen. Der seine Tochter anbetete. Ausgerechnet. Einen ganzen schrecklichen Tango lang hatte er ihr nur von Eva vorgeschwärmt. Elisabeth drückte Mönch so fest an sich, daß er leise protestierte. Und sie hatte mit dem Kopf genickt und zu allem Ja und Amen gesagt.
    Elisabeth kippte den Sherry hinunter. Solche Erinnerungen verließen einen nie. Und es war ein kleiner Trost, daß sie nicht immer das häßliche Entlein geblieben war. Zwei Jahre später hatten sich die Jungens um sie gerissen, ja: sie waren Schlange gestanden, als sich die Rundungen auch bei ihr einstellten, die Eva längst hatte – und immer vorzeigen mußte, dachte Elisabeth in einem Anfall von Gehässigkeit. Dann ging Eva fort – zum Studium, hieß es – und meldete sich zurück mit einer Traumhochzeit, auf der ganz Wingarten mit Freibier traktiert wurde. Erich Lambert war der Glückliche. Er sei eine großartige Partie, hatten Evas Eltern geschwärmt.
    Alle hatten das geglaubt. Irgendwann war Elisabeth am Haus vorbeigefahren, in das sie nach ihrer Heirat eingezogen waren, die jungen Lamberts: ein Flachdachbungalow im Neubaugebiet von Vinningen mit einem düsteren Vorgarten, in dem zwei große Tannen den Blick aufs Haus versperrten. Damals hatte sie gedacht: Sebastian Klar hat mehr zu bieten …
    Eva war ihr aus den Augen geraten. Sie hatte jahrelang keinen Gedanken an sie verschwendet. Sie hatte nicht mitgekriegt, was passiert sein mußte, damit aus der strahlenden Eva eine depressive Frau wurde, die sich und anderen ein so schreckliches Ende bereitete.
    Als sie das Streichholz in den Aschenbecher legen wollte, mit dem sie sich eine neue Zigarette angezündet hatte, merkte sie, daß dort schon eine vor sich hinqualmte. Und daß ihre Hände zitterten.
    Was hatte Eva in diesen

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