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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Wahnsinn getrieben? Das, was Elisabeth langsam wahnsinnig machte – nämlich der Tod des einzigen Kindes? War es Eva so wie ihr ergangen, war sie ähnlich leer, ausgebrannt und ohne Hoffnung gewesen?
    Oder war sie gar nicht wahnsinnig gewesen? Eva hatte, nach der Menge an Medikamenten zu schließen, die man nach ihrem Tod im Badezimmerschränkchen ihrer Wohnung gefunden hatte, die dämpfenden Drogen, die ihr der Arzt verschrieben hatte, seit Wochen nicht mehr genommen. Nach außen hin hatte man ihr nichts angemerkt, auch der behandelnde Arzt nicht. Die Wohnung war tipptopp aufgeräumt gewesen. So hatte es in der Zeitung gestanden.
    Und die Beschaffung der beiden Handgranaten hatte rationale Planung erfordert. Eva Lambert war bei Verstand gewesen, als sie sich in die Luft sprengte. Bei vollem, klaren Verstand. Wer so etwas tat, dachte Elisabeth, auch noch am hellichten Tag, der mußte einen guten Grund dafür haben. Einen besonders guten Grund.
    Ihre Hand krampfte sich um die Pfote, die Mönch ihr gähnend hinhielt. »Was war es, Eva?« sagte sie laut, legte den Kopf nach hinten und sah den Lichtreflexen auf der Zimmerdecke hinterher. Vier der zwölf Kerzen auf dem großen Kerzenleuchter waren bereits ausgegangen, eine fünfte flackerte schon. Wer war es? Doch nicht Laura, Therese, Martin. Doch nicht Else. Doch nicht Bettine! Warum hatte Eva die Falschen mitgenommen? Warum hatte sie nicht die wirklich Schuldigen in die Luft gesprengt?
    Sie brauchte eine Antwort. Damit sie endlich Ruhe hatte vor dem Mühlrad in ihrem Kopf. Vor dem ewigen Warum.

6
    »Ich bin noch nicht soweit.« Michael Wagner sprach sich den Satz laut vor und schüttelte dann den Kopf. Das klang albern. Er war doch keine Jungfrau.
    »Versteh mich doch, Marlene!« Vielleicht sollte er so anfangen. »Ich bin erst am Anfang meiner Karriere, und …«
    Michael schlug mit dem Handballen auf das Lenkrad. Er hielt das langsam nicht mehr aus. Er mußte es endlich hinter sich bringen. Er übte schon seit Tagen, immer, wenn er allein im Auto saß, was Gott sei Dank nicht gerade selten vorkam. »Was macht Marlene?« hatte der Alte gestern gefragt, in aller Unschuld wahrscheinlich. »Alles prima«, hatte er geantwortet und dann das Gespräch auf etwas anderes gelenkt.
    Michael drehte das Radio lauter, das er nur anmachen durfte, wenn der Alte nicht neben ihm saß. »Du magst keinen Zigarettenrauch in der Nase, und ich hab was gegen vollgedröhnte Ohren«, hatte Kosinski nach ihrer ersten Fahrt gebrummt. Er drückte die Taste für den Hyperbass, bis der Audi zu vibrieren schien.
    »Gib mir mein Herz zurück!« Michael sang mit, er kannte die Rap-Fassung von Grönemeyers alter Schnulze »Flugzeuge im Bauch« in- und auswendig. »Du brauchst meine Liebe nicht! Gib mir mein Herz zurück! Bevor’s auseinanderbricht! Je eher – je eher du gehst, desto leichter, desto leichter wird’s für mich.«
    Er erinnerte sich nicht mehr genau, wann sie angefangen hatte mit dem Thema – wahrscheinlich nach der Taufe der kleinen Jasmin. Da hatte sie noch in der Kirche Rotz und Wasser geheult, er wurde verlegen, wenn er nur daran dachte. Schulz, der Fotograf, der während der ganzen langen Zeremonie ständig seinen blöden Fotoapparat bedienen mußte, was sogar Michael störend fand, obwohl er schon vor zwei Jahren aus der Kirche ausgetreten war – Schulz also hatte sich zu ihr hinuntergebeugt und mit einem Seitenblick auf Michael gesagt: »Sei schön nett zu deinem Freund, dann macht er dir auch so ein süßes Bobbelche!«
    Er schüttelte sich. »Du magst keine Kinder!« hatte sie ihm entgegengeschleudert, als er seine üblichen Argumente vorgebracht hatte: Wart noch ein bißchen, Marlene. Es ist noch zu früh, Marlene. Ich verdiene noch nicht genug, Marlene.
    Er seufzte. Nein, das war es nicht. Er war sich ganz sicher, daß es das nicht war. Er mochte Kinder. Er mochte nur – diese ganze Debatte nicht mehr.
    Er mochte, dachte er plötzlich, Marlene nicht mehr.
    Wie sie ihn beobachtete, wenn er am Tisch saß und aß, was sie ihm vorsetzte. »Na, schmeckt’s?« hatte sie gestern wie üblich gefragt. Und ihm dann die »Nährstoffbilanz« vorgerechnet, Kohlenhydrate, Proteine, Fett, Ballaststoffe, Vitamine undsoweiter undsofort. Er konnte es nicht mehr hören. Dabei hatte er ihr den Unsinn selbst beigebracht. Das hatte er nun davon.
    Und im Bett lief gar nichts mehr. Dabei tat sie ihr Bestes, hatte es letzte Woche sogar mit erotischer Unterwäsche versucht. Und mit Striptease.

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