Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
Vom Netzwerk:
rappelte sich wieder hoch, um ihm aus einer Literflasche ohne Etikett nachzufüllen.
    Karen atmete tief durch. Sie spürte einen tiefen Frieden in sich hochsteigen. Das Leben in Frankfurt schien ihr plötzlich ganz weit weg zu sein. Auf einem anderen Kontinent. Auf einem anderen Erdball. Sie breitete beide Hände vor sich aus, mit dem Rücken nach oben. Selbst der Nagellack war abgeblättert. Karen Stark, Staatsanwältin aus Frankfurt am Main, begann aus der Form zu geraten. Sie nahm noch einen Schluck. Fast hätte sie gekichert.
    »Ich glaub, der Wein ist heut e bisje unruhig.« Der Mann hatte beim Versuch, das volle Glas aufzunehmen, den Wein verschüttet. Jetzt lachte Karen. Als Erwin den Kopf hob, um zurückzulachen, sah sie die unruhigen Augen hinter der dicken Brille.
    »Mir sinn noch im Rhein geschwomme.« Der Mann schien Vertrauen zu ihr gefaßt zu haben.
    »Ewwin!!!« sagte Martha. Aber es klang, als ob sie sich abgefunden hätte.
    Karen fielen seine verfärbten Hände auf, die schwarzen Flecken auf dem Handrücken, die schrundigen Nägel. Hannes Janz hatte ähnliche Hände. Winzerhände?
    »Der Ludwich. Wisse Se?« sagte der Mann. »Die ›Wacht am Rhein‹ hatter immer gesungen. Bei der alt Brück isser neigesprunge. Stand ja nur noch der Brückekopf. War ja Krieg gewesen.«
    Karen ließ den Wein im Glas kreisen. Im Main hatte man auch mal schwimmen können. Entweder war die Brühe vor unvordenklichen Zeiten wirklich sauberer gewesen – oder die Menschen abgehärteter.
    »Wisse Se? Und dann – dann hatter sich auf den Rücken gelegt und sich treibe lasse. Einfach treibe lasse. Bis nach Wingarten. Der Ludwich.« Der Mann nahm einen großen Schluck aus seinem Glas und hustete. »Ajoo. Der war Chef bei der Feuerwehr. Und die ›Wacht am Rhein‹ hatter gesunge.«
    Der alte Herr klang plötzlich, als ob er den Tränen nahe war. Martha stand schon neben ihm, die Literflasche in der Hand. Auch Karen hatte plötzlich einen Kloß im Hals.
    »Mir sinn noch im Rhein geschwomme«, sagte Erwin mit bebender Stimme.
    Karen legte vier Mark auf den braunen Tisch und erhob sich. Irgend etwas tat ihr weh. Die Einsamkeit der beiden alten Leute? Ach wo, dachte sie. Die hatten wenigstens einander. Und wen hatte sie? Noch nicht einmal das für solche Fälle gedachte Schoßtier.
    Draußen hatte sich der Himmel zugezogen. Es war kälter geworden. Plötzlich fühlte sie sich verloren in diesem unbekannten, von Fremden bevölkerten Ort. Als neben ihr die Reifen eines Autos quietschten, merkte sie, daß sie völlig gedankenverloren über die Straße gegangen war, dreißig Meter vom nächsten Fußgängerüberweg entfernt. Beinahe hätte sie das Gleichgewicht verloren.
    Für einen Moment verschlug es ihr die Sprache, als sie den jungen Mann sah, der aus dem grauen Audi gesprungen war. Auch er starrte sie sprachlos an. Bis jemand hinter ihm hupte. Befreit fingen beide zu lachen an. Als der junge Mann sich soweit gefaßt hatte, daß er »Kriminalkommissar Wagner« und »Kann ich Ihnen helfen?« sagen konnte, prustete sie wieder los.
    Ob er das auch so erheiternd fand? Er hatte eher ratlos ausgesehen. Kriminalkommissar Wagner, dachte Karen auf dem Weg zurück zur »Traube«. Auch das noch.

5
    Elisabeth schloß die Tür hinter sich ab, zog die Samtgardinen vor die Fenster, nahm die Streichholzschachtel vom Tisch und zündete sich mit dem Streichholz erst ihre Zigarette an und dann die Kerzen in dem großen, zwölfarmigen Leuchter. Und dann, mit zwei weiteren Streichhölzern, all die anderen weißen, rosa und roten Kerzen, bis das Zimmer im goldenen, sanft bewegten Schein eines ganzen Kerzenmeers leuchtete. Vor dem Bild Bettines zündete sie eine Kerze an. Vor dem Bild ihrer Eltern. Vor dem Rahmen mit dem Hochzeitsfoto, das nicht mehr auf dem Piano stand, sondern, das Gesicht nach unten, darauf lag. Dann goß sie sich aus der großen Karaffe einen Sherry in ihr Glas und hielt es ans Licht. Die bernsteingelbe Flüssigkeit leuchtete im Kerzenlicht.
    Sie schubste Mönch zur Seite, der es sich mit weit von sich gestreckten Pfoten auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Wieder alles voller Katzenhaare, dachte sie. Verdammtes, anhängliches Tier. Sie fuhr ihm mit den Fingerspitzen über den weißen Bauch. Der Kater zuckte mit den Barthaaren, und sein leises Schnarchen ging in ein wohliges Schnurren über. Seine Nähe konnte sie gerade noch ertragen. Aber nichts und niemanden sonst. Vor allem nicht Sebastian.
    Ihr Mann wurde ihr langsam

Weitere Kostenlose Bücher