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Wasser

Wasser

Titel: Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Tvedt
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Neues zu bauen, sondern um zu verhindern, dass die alte Kathedrale auseinanderbricht. Seit Jahren arbeiten sie daran, das Heiligtum zu retten – vor dem Durst der Stadt und vor den Sünden der Vergangenheit. Über die Stadt wird scherzhaft gesagt, dass die Bevölkerung einsinken würde, sobald sie etwas trinke. Durchschnittlich fällt der Grundwasserspiegel in dieser Region um einen Meter pro Jahr, an einigen Stellen um zehn Zentimeter, an anderen dafür um 1,5 Meter. Doch wenn das Grundwasser absinkt, senken sich auch Teile der Stadt ab, manche davon im Laufe der letzten einhundert Jahre um bis zu neun Meter. Teile des Stadtzentrum sinken innerhalb von 14 Tagen um einen Zentimeter. Daher ist es eher eine Untertreibung, wenn die Stadt als das Venedig Lateinamerikas bezeichnet wird. Mexiko-Stadt befindet sich buchstäblich in einer Schieflage, in einer nicht nachhaltigen Entwicklung. Der Untergrund senkt sich so leicht ab, weil er den Boden eines Sees gebildet hat, den es nicht mehr gibt. Die Gebäude neigen sich außerdem unregelmäßig, so auch die Kathedrale, weil sie zum Teil (etwa die Krypta) auf Resten des wichtigsten Tempels ruhen, den die Azteken einst im Zentrum von Tenochtitlan errichtet hatten. Die Bauarbeiten können das weitere Absinken der Kathedrale nicht verhindern, doch überall unter der Kirche werden feste Stützen eingebaut, so dass die Kirche zumindest gleichmäßig absinkt.
    Im Inneren des Xcaret-Ökologieparks, nicht weit von den Badehotels der Riviera Maya auf der Yucatán-Halbinsel und vier Tagestouren mit dem Auto in südöstlicher Richtung von Mexiko-Stadt entfernt, versuchen ein paar ortsansässige Mayaschauspieler, dieGeschichte der Mayazivilisation als Touristenattraktion wieder aufleben zu lassen. Die Trommelwirbel und die furchteinflößenden Masken sollen das Exotische unterstreichen, und der Qualm der Lagerfeuer hüllt die Vorstellung in einen mystischen Nebel. Normalerweise kann ich solch quasiauthentische Dramatisierungen der Vergangenheit nicht ausstehen, weil sie darauf abzielen, die Geschichte aus ihrem zeitgenössischen Kontext zu reißen, um sie banal und leicht konsumierbar zu machen. Hier jedoch wird meine Skepsis von der Musik, der Stimmung und der Unmittelbarkeit des theatralischen Ausdrucks überschattet und von dem Charme, mit dem die heute marginalisierten Mayaindianer ihre Glanzzeit ohne eine Andeutung von Verlustgefühl, Wehmut oder Sentimentalität spielerisch aufführen. Sie stellen ihre Vergangenheit als etwas Unwiederbringliches dar und so, als ob es eine Freude wäre, ihr entkommen zu sein, während die Frage nach Geschichte und Zusammenbruch der Mayazivilisation immer mehr Historiker, Archäologen – und Klimaforscher beschäftigt.
    Die Geschichte des Wassers bei den Maya ist eine Warnung vor dem, was erneut geschehen könnte. Die Mayazivilisation bestand 1200 Jahre und hatte ihre Glanzzeit zwischen 250 und 900. Zum Zeitpunkt der größten Ausdehnung umfasste sie ein Gebiet von Guatemala im Süden bis nach Mexiko im Norden mit ingesamt 40 Städten von bis zu 50 000 Einwohnern, zusammen zwei Millionen Menschen. Sie befassten sich mit Astronomie und Mathematik und entwickelten den Vorläufer unseres Kalenders. Einige ihrer Mythen sind bekannt, darunter die Schöpfungsgeschichte »Popol Vuh«, geschrieben in der Quiché-Sprache der Hochgebirgsmaya in Guatemala. 25 Insbesondere durch das 1556 erschienene Buch »Bericht aus Yucatán« von Diego de Landa, einem Inquisitor und Verbrenner der Mayaschriften, sind uns viele ihrer Bräuche bekannt. 26
    Um wirklich zukunftsorientiert zu sein, muss eine Reise in die Zukunft des Wassers diese überwucherten Zentren der Mayazivilisation paradoxerweise einschließen. Immer mehr Wissenschaftler sind der Ansicht, dass es Änderungen des Klimas und der Wasserlandschaftwaren, die letztlich – wenngleich im Zusammenspiel mit einigen anderen sozialen und kulturellen Faktoren – die zentralen Gebiete dieser mesoamerikanischen Zivilisation vernichteten. Die Landwirtschaft war vom Niederschlag abhängig. Deshalb erschufen die Maya ein kompliziertes System aus Dämmen und Kanälen, um Regenwasser für Trockenperioden zu bewahren. Ein Reservoir in Tikal, der größten Ruinenstadt aus der Glanzzeit der Maya, die heute in Guatemala liegt, hatte beispielsweise genügend Wasser, um 10 000 Menschen für 18 Monate mit Trinkwasser zu versorgen (Tiakal ist ein Ortsname der Maya und bedeutet »bei den Reservoirs«). Die Maya betrieben keine

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