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Wasser

Wasser

Titel: Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Tvedt
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wenn das Land von einer Dürre geplagt wurde. Zwar gab es keine an der Oberfläche liegenden Flüsse, doch verfügten die Maya stattdessen über 3000 dieser natürlichen Senkbrunnen. Sie entstanden durch den Zusammenbruch der porösen Kalksteinerde. Ausgelöst wurden diese durch Regengüsse, Kohlendioxid und historische Fluktuationen des Meeresspiegels. Die Cenoten sind einzigartig und waren für die Landschaft Yucatáns so etwas wie der Nil für Ägypten, wenngleich auf etwas andere Art und in viel geringerem Umfang.
    Der Zaci-Sinkbrunnen in Valladolid beispielsweise liegt wie ein See in der von unzähligen blaugrünen Schattierungen geprägten Landschaft. Auf der einen Seite nur von der Unendlichkeit des blauen Himmels begrenzt, befindet sich auf der anderen Seite des Brunnens ein von Stalaktiten bedeckter Felsvorhang aus Kalkstein. Tief in diesem großen Brunnen ist die moderne Welt unhörbar – es gibt nur Stille, das Geräusch meiner Schwimmzüge und einen heiseren Reiher. Während die Landschaft ringsum golden und braun verbrannt erscheint, muss man in den Cenoten durch eine blaugrüne fruchtbare Dschungellandschaft hinabsteigen, entlang einer Steintreppe.
    Ruhelos fahre ich von einem Cenoten zum anderen, nicht wegen ihrer Schönheit, die im Übrigen – und das sei als Warnung für all jene verstanden, die zum falschen Zeitpunkt hierher kommen – vom Stand der Sonne abhängt, sondern um mehr über ihre Bedeutung und ihre Unterschiede zu verstehen. Die Cenoten waren sowohl das ökonomische als auch das rituelle Zentrum der Maya. Sie wurden als Bauch der Erde und als feuchte Tore zu den Göttern der Unterwelt betrachtet. Deshalb dienten sie als Opferplätze – um den Regengott Chaac zu besänftigen.
    Der spektakulärste Cenote ist Dzitnup oder Keken, 52 Kilometer südlich von Mérida, nahe der Stadt Abalá gelegen. Er ist völlig unter der Erde verborgen. Während ich hinunterklettere und mich über immer feuchter werdende Steine bewege, kann ich deutlich den Kontrast zwischen der trockenen Luft, die ich verlasse, und der feuchten, klammen Luft im Cenoten wahrnehmen. Große Bäume scheinen in der Luft vor mir zu hängen; auf der Suche nach Wasser haben die Wurzeln das Gestein des Cenoten durchbrochen. Ich schlüpfe unter ein paar mächtigen und sehr tief herabreichenden Stalaktiten hindurch und sehe den unterirdischen Brunnen vor mir liegen: eine blaugrüne Oase völlig reinen Wassers, in der die hiesige Bevölkerung vor der Sonne geschützt badet; riesige Stalaktiten, die in allen Formen von der Decke bis ins Wasser herabhängen, während gleichzeitig Stalagmiten vom Grund des Brunnens bis fast zur Decke emporwachsen. Und dann das Licht, das auf beinah spielerische Weise durch ein kleines Loch in der geschwungenen Erddecke über dem Cenote hereindringt. Es fällt mir nicht schwer nachzuvollziehen, warum diese Orte zu religiösen Kultstätten wurden, denn sogar architektonisch ähneln sie Kathedralen.
    Wie inzwischen geklärt ist, sind die Cenoten nur der sichtbare Teil eines gigantischen unterirdischen Flusssystems. Bill, ein US-Amerikaner, der nach dem Vietnamkrieg seiner Heimat den Rücken kehrte, will mir einen unterirdischen Fluss zeigen, den er selbst entdeckt und erforscht hat. Mitten im Wald hält Bill an, wir steigen eine Leiter hinunter, die aus einem von trockenem Buschwerkumkränzten Loch im Boden herausragt, und nach ein paar Metern in der Dunkelheit offenbart sich ein fantastisches Naturphänomen: Der Eingang zu einem weit verzweigten Flusssystem, das sich kilometerweit unter der Yucatán-Halbinsel erstreckt – das längste unterirdische Flusssystem der Welt.
    Diese Flüsse sind es, welche die Cenoten mit Wasser versorgen und so das Überleben der Landwirtschaft auf der Yucatán-Halbinsel ermöglichten. Sie waren so etwas wie dauerhafte Versicherungen gegen die Veränderungen des Klimas und die Instabilität des Niederschlags. Interessant ist, dass die Flüsse durch einstmals trockene Grotten fließen – was die Bildung der Stalaktiten ermöglichte – und das Wasser somit die Spuren einer noch früheren Kultur überdeckt. Als das Eis schmolz, stieg der Meeresspiegel an, und da Süßwasser leichter als Salzwasser ist, entstanden Süßwasserflüsse. Die Veränderungen im Kreislauf des Wassers bildeten also sowohl die Grundlage für die Entstehung der Mayazivilisation als auch für ihren teilweisen Zusammenbruch. Umgeben von dieser unterirdischen Dunkelheit und dem Geräusch des gluckernden

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