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Wasser

Wasser

Titel: Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Tvedt
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überantwortet, in kleinen vergoldeten Kannen vorsichtig vom Ganges in die engen Straßen Varanasis getragen wird. Indien ist eine der klassischen Flusszivilisationen, und die Geschichte des ganzen indischen Subkontinents kann aus einer Wasserperspektive heraus gelesen werden. Nur aufschreiben müsste diese Geschichte noch jemand. Flüsse wie der Ganges, der Indus, der Brahmaputra oder der Yamuna sowie der regel-, aber nicht immer gleichmäßig auftretende Monsun haben die Entwicklung Indiens gestaltet. Dieses Wassersystem schuf die Grundlage für landwirtschaftlich geprägte Zivilisationen und Handelswege – und eine der Besonderheiten des Landes: die »verlassenen Städte«. Diese Orte haben sich aus der Geschichte verabschiedet, weil der Fluss, an dem sie einst gegründet wurden, einen anderen Weg suchte oder in andere, größere Flüsse eingeleitet wurde. Die britische Kolonialverwaltung sah die künstliche Bewässerung und den Bau von Kanälen als vorteilhaft an. Für Staudämme und Kanäle wurde mehr Geld ausgegeben als für die berühmte Eisenbahn. Seit 1950 hat Indien über 3500 große Staudämme gebaut. Der legendäre indische Ministerpräsident Jawaharlal Nehru übertrieb nicht, als er diese als moderne Tempel Indiens bezeichnete. Sie sollten nicht nur ökonomische Zwecke erfüllen, sondern auch zum Aufbau der Nation beitragen und soziale Gegensätze überbrücken – ein überaus wichtiges Vorhaben in einem Land, in dem ein Mitglied der Pariakaste vor dem Betreten der Straße noch immer eine Warnung ausrufen musste, damit ein Brahmane rechtzeitig ausweichen konnte, um seinen Anblick nicht ertragen zu müssen. Die Staudämme repräsentierten die Vision eines modernen und rationalen Staates. Diese »Ingenieur-Ideologie« existierte parallel zu einer tiefen religiösen Verehrung des Wassers, insbesondere an den Ufern des Ganges und des Brahmaputra, und noch heute stehen die vielen kontrolliertenFlüsse für Millionen von Menschen im Zentrum ihrer rituellen Praxis.
    In der Hauptstadt Neu-Delhi sind die Zeichen des Wachstums nicht zu übersehen. Es wird erwartet, dass Indien schon bald an Italien, Frankreich und Großbritannien vorbeizieht und zur fünftgrößten Wirtschaftsmacht aufsteigt. Darüber hinaus haben Reformen zu einem beschleunigten Wachstum geführt; das Land wurde für Investitionen geöffnet, und indische Betriebe und Unternehmen sind aufgerufen, effektiver und konkurrenzfähiger zu werden. Einige Beobachter vermuten, dass die indische Wirtschaftkraft bis zum Jahr 2050 die der USA übertroffen haben könnte. Manche Wirtschaftssektoren – wie die Informationstechnologie – gehören zu den modernsten weltweit, und die Bevölkerungszahl wird bald jene Chinas überschreiten.
    Delhi hat viele Gesichter, die die unruhige Geschichte der Region widerspiegeln. Im Vergleich mit dem restlichen Indien gibt es hier nur wenige Sehenswürdigkeiten, etwa den LaxminarayanTempel, das Minarett Qutb Minar und das Rote Fort. Mit Blick auf das Wasser allerdings ist die Hauptstadtregion interessant. Wenngleich die Wirtschaftsleistung des Landes mit jener Großbritanniens wetteifert, ist die grundlegende Infrastruktur schlecht ausgebaut. In Delhi kann man beispielsweise auf Männer treffen, die zwar der Mittelklasse angehören und einen Anzug tragen, aber mit einem Eimer in jeder Hand nach Wasser anstehen müssen. Die reichsten und wohlhabendsten Mitglieder der Mittelklasse verbrauchen mehr Wasser als Reiche in Paris oder Sydney und bezahlen weniger dafür, als der Transport gekostet hat. In Delhi gibt es kein System, das den Wasserverbrauch misst. Für Millionen Menschen in den illegal errichteten Slums sind die Schlangen vor den Wasserpumpen zu lang, weshalb sie ihr Wasser lieber bei der sogenannten Wassermafia kaufen. Ein einziger Tagesverbrauch an Wasser kostet dann manchmal so viel, wie ein Bürger der Mittelklasse für einen ganzen Monat bezahlt. Diese Ungleichheit, Wasser zu erhalten, entwickelt sich zusehends zu einem der größten Strukturprobleme des Landes.
    Die politische Führung hat die Warnzeichen erkannt. An vielen Orten herrscht akuter Wassermangel. Die Regierung im westlichen Bundesstaat Maharashtra hat Bananen- und Zuckerrohrproduzenten zusätzliche Wasserrationen zur künstlichen Bewässerung versagt, wenn sie mehr als zwei Kinder haben. Der für Wasser zuständige Minister begründete dies als notwendige Maßnahme, um den Wasserverbrauch und das Bevölkerungswachstum zu begrenzen. Berichten

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