Wasser
vor und bedient sich einer Schritt-für-SchrittStrategie. Der ehemalige Präsident Abdul Kalam, der aus einer trockenen Region stammt und über technisches Hintergrundwissen verfügt – wie übrigens auch Nehru –, war ein Befürworter des »National River Linking«-Projektes. Seine Nachfolgerin Pratibha Patil – Präsidentin von 2007–2012 – kam aus Rajasthan, einem Bundesstaat, der mehr als alle anderen Vorteile aus dem Projekt zöge. Die Gegner des Projektes werfen der Regierung vor, damit nur die Ineffizienz des staatlichen Büros zur Kontrolle der künstlichen Bewässerung zu überdecken und glauben, dass viele von dem Plan regelrecht besessen seien. Die Regierung hingegen verweist darauf, dass unzählige Ingenieure das Projekt untersucht und sich positiv dazu geäußert haben. In Zukunft sollen die Flüsse des Landes zu einem System verknüpft werden, um die Ungerechtigkeit und das Ungleichgewicht der Natur auszugleichen. Die Unterzeichnung des Abkommens im Jahr 2005 zwischen den beiden bevölkerungsreichsten Nachbarprovinzen Uttar Pradesh und Madhya Pradesh, die zu den Gliedern in der Kette des »National River Linking«-Projektes gehören, war ein klarer Beweis dafür, dass die Regierung es ernst meint.
Vom Roten Fort aus, dessen Name sich von der Farbe des Sandsteins ableitet, mit dem seine 16 Meter hohen Mauern zwischen 1639 und 1648 in Delhi erbaut wurden, kann ich den Yamuna erkennen, der wegen zahlreicher Wasserentnahmen stromaufwärts im Sommer immer kleiner wird. Maßgebliche Politiker begründen das »National River Linking«-Projekt mit solch alarmierenden Zuständen. In Indien lassen sich zudem an vielen Orten neue rationale Argumente für die Umsetzung des Planes vernehmen, da nur so, wie behauptet wird, die künftige Wasserversorgung für ganz Indien gewährleistet ist und folglich Wachstum und nationale Einheit gesichert werden können.
Eine Flussebene im Griff des Wassers
Vermutlich gibt es kaum ein anderes Land, in dem sich die Bevölkerungsdichte derart klaustrophobisch und physisch überwältigend anfühlt wie in Bangladesch. An die 150 Millionen Menschen sind hier mehr oder weniger auf einer Flussebene zusammengepfercht, die ungefähr 150 000 Quadratkilometer umfasst. Und darin die Hauptstadt Dhaka: Eine klassische Stadt am Fluss, dampfend feucht, stickig heiß, mit monotonen Autoschlangen, hunderttausenden von Fahrraddroschken oder Rikschas, dazwischen der nicht zu verkennende Geruch schwitzender Männer, die eine scheinbar unendliche Anzahl von Karren vor sich her schieben, beladen mit Fässern, Eimern, Kokosnüssen, Schuhen und allen möglichen anderen Gegenständen. Nach ein paar Stunden Aufenthalt ist man schnell bereit, die gängigsten Theorien über den Ursprung des Wortes »Bangladesch« zu akzeptieren: Demnach ist es abgeleitet von
vanga
, das zum ersten Mal in der jahrtausendealten Hindu-schrift »Aitareya-Aranyaka« erwähnt wurde und nach Ansicht vieler Sprachforscher von dem tibetischen Wort
bans
abstammt, das »nass und feucht« bedeutet.
Einer der Gründe dafür, eine solche Zehn-Millionen-Stadt ohne Anhöhen, ohne eigentliches Zentrum und ohne klassische Sehenswürdigkeiten aufzusuchen, ist eben die Möglichkeit, in diese Bevölkerungsdichte einzutauchen und das Phänomen der Überbevölkerung ganz unmittelbar zu erfahren. Dafür steigt man am besten in eine Rikscha, die als typisch bengalisches Transportmittel angesehen wird, aber eigentlich erst vor gut hundert Jahren unter der Herrschaft der Briten eingeführt wurde. Erst wenn man sich durch die engen Straßen fahren lässt und dabei aus allen Richtungen zehntausende von Fußgängern und Radfahrern den Weg zu kreuzen scheinen, begreift man, wie sehr diese massive Bevölkerungsdichte einer Plage ähnelt. Während sich die Rikscha weder vor- noch rückwärts einen Weg durch die Masse bahnen kann, kommt mirder Gedanke, dass ich vielleicht besser zu Hause geblieben wäre. Auch das dünne Leinwandverdeck bietet keinen Schutz: Ich bin in einer Menschenmenge gefangen, der ich anscheinend nicht mehr entkommen kann.
Der Rikschafahrer kämpft sich mühsam vorwärts, während ich unruhig dasitze und fürchte, dass wir von irgendeinem Auto überrollt werden, dessen Fahrer aufgrund des Verkehrschaos’ womöglich die Besinnung verliert. Mir fällt eine Schicksalstragödie aus Bangladesch ein, die mir in der Stadt Sylhet, im Norden des Landes, erzählt wurde. Dort liegt das Grabmal von Hazrat Shah Jalal, und noch sechshundert
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