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Wasser

Wasser

Titel: Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Tvedt
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Kleinfürsts, einnahm. Da ein Stück Boden ohne Versorgung mit Schmelzwasser im Hunzatal völlig wertlos war, der
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im Volksglauben jedoch die Macht besaß, das Abschmelzen der Gletscher zu kontrollieren, hatten die anderen Bewohner keine Wahl: Wollten sie überleben, mussten sie sich seinem Regime unterwerfen. Dieses System der autokratisch regierenden und nicht gewählten Kleinfürsten im Norden Pakistans wurde erst Anfang der 1970er Jahre durch die Regierung von Zulfikar Ali Bhutto aufgelöst, als die betreffenden Gebiete, einschließlich des Hunzatals, der Zentralregierung unterstellt wurden.
    Der ständig wachsende Bedarf an Wasser spiegelt sich auch in den Naturvorstellungen des örtlichen Volksglaubens wider: Während eines Mittagessens mit der technischen Leitung im lokalen Wasserwerk behaupten einige Ingenieure, dass durch die Paarung eines männlichen Gletschers, der schwarz und voller Steine sei, mit einem weißen weiblichen Gletscher neue Gletscher entstünden. Und indem man die Stelle mit Decken und Ähnlichem zudecke, würde dann das »Kind« wachsen.
    Als die kleine Maschine bei meinem Rückflug in niedriger Höhe über eisbedeckte Berggipfel hinwegzieht (ohne dabei den Yeti aufzuscheuchen), kann ich nicht umhin zu denken, dass es sich bei dieser Geschichte um eine optimistische Vorstellung handelt, noch dazu in einer Region, die abhängig von derartigem Schmelzwasser ist.
    Später sehe ich die Punjabebene vor mir und bemerke es sofort: ein Netzwerk aus Kanälen, die das Land in allen Richtungen durchkreuzt. Das größte zusammenhängende Bewässerungssystem der Welt: 60 000 Kilometer künstlich angelegter Bewässerungskanäle, die das Wasser vom Indussystem hierher führen. 53 Punjab bedeutet eigentlich »Land zwischen den fünf Flüssen«, was in der Tat eine zutreffende Bezeichnung ist. Britische Kolonialherren und Wasserbauingenieure verwandelten das heutige Pakistan, damals ein Teil Indiens, in eine gigantische Baumwollplantage. Flüsse wurden zusammengeführt oder umgeleitet, und die trockene Indusebene ist an vielen Orten zu einer Oase geworden. Die Landwirtschaft bildet das Rückgrat der pakistanischen Ökonomie, und die künstliche Bewässerung ist der empfindliche Nerv dieser grünen Revolution.
    Es ist eine unbezweifelbare historische Tatsache, dass die Landwirtschaft in der heutigen Form ohne den Indus und seine Nebenflüsse nicht existieren könnte. Doch die Lebensader der nationalen Wirtschaft ist kein landeseigener Fluss. Er kommt aus China und – vielleicht noch wichtiger – muss mit Indien geteilt werden. Der Kampf um das Wasser in diesem Flusssystem wird über Kriegund Frieden zwischen jenen beiden Atommächten entscheiden, und auch die Lösung der Kaschmirfrage 54 wird er in großem Maße beeinflussen.
    Nur selten habe ich etwas erlebt, das mich stärker beunruhigt hat: In der Hocke fahre ich mit der Hand über den rauen Boden und lese eine ganze Handvoll körnigen, groben Salzes auf. Um mich herum sind große Flächen weiß wie Schnee. An vielen Orten in den Provinzen Punjab und Sindh sieht es so aus. Der Indus führt enorme natürliche Salzmengen aus Tibet und dem Himalaja mit sich. Die künstliche Bewässerung hat dazu geführt, dass Millionen Hektar Land von diesem zunehmenden Versalzungsprozess bedroht sind. Mittlerweile gibt es in Pakistan viele Seen, die aus der Entfernung wie ganz normale idyllische Gewässer aussehen, sich bei näherer Betrachtung jedoch als tot entpuppen. Die Seen werden unterirdisch mit Grundwasser versorgt. Doch austretendes Wasser aus defekten Bewässerungskanälen lässt das Grundwasser ansteigen und verunreinigt es mit Salz, wodurch die Seen absterben.
    »Etwa 40 Prozent des Areals sind vom salzhaltigen Wasser beschädigt, 15 Prozent sogar stark. Das Salz in der Erde hat zu einem Produktionsrückgang von 25 Prozent geführt.« Meine pakistanischen Kollegen, die ich in einer Forschungseinrichtung in Multan treffe, sind verzweifelt. Sie haben die Entwicklung langfristig beobachtet und versucht, etwas dagegen zu tun. Doch sie wissen auch, dass es sich um kein neues Problem handelt.
    Kurz bevor die Sonne aufgeht und das Spiel von Licht und Schatten die 5000 Jahre alten Steinmauern zum Leben zu erwecken scheint, schreite ich einen 8 mal 12,5 Meter messenden Raum inmitten des »Großen Bades« ab. Ich befinde mich im prominentesten Gebäude der Mohenjo-Daro-Anlage in der Provinz Sindh. Sie liegt auf einer künstlichen Anhöhe, ungefähr zehn Meter

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