Wasser
aus denTälern und von den Ufern der Flüsse fast gerade in die Höhe: Tirich Mir an der Grenze zu Afghanistan, der pyramidenförmige K2, der zweithöchste Berg der Erde, oder der Nanga Parbat, der sich als letzter Gipfel des Himalajamassivs einsam erhebt und die fruchtbaren Ebenen in Kaschmir von den gewaltigen Wasserschluchten des Indus trennt. Durch diese Landschaft fließt die Lebensader Pakistans, bevor sie breiter wird und mit ihren Nebenflüssen die Grundlage für die pakistanische Landwirtschaft bildet.
In einem kleinen Flugzeug fliege ich von Islamabad in den Norden, nach Skardu, heuere für wenig Geld einen Taxifahrer an und erlebe die schlimmste Autofahrt meines Lebens. Der günstige Preis beinhaltet, dass der Wagen alt ist, die Reifen schlecht sind und der Taxifahrer seine besten Tage schon lange überschritten hat. Zu Beginn schlängelt sich die Straße gemächlich über die sandigen Flussebenen im Skardutal, das von Gletschern umgeben ist, die, dem Volksglauben nach, ja »gezüchtet« werden können.
Nach einiger Zeit erreichen wir die Straße, die dem Lauf des Indus folgt. Stunde um Stunde fahren wir direkt am Fluss entlang; manchmal führt die Straße mehrere hundert Meter steil bergab, während unter uns die Fluten des Indus toben und über uns riesige Felsmassive in den Himmel ragen. Wir dürfen uns nicht zu dicht an der Felswand bewegen, weil sich sonst Steine daraus lösen, aber andererseits auch nicht zu nah am Abgrund, weil die Straßenbegrenzung aus losem Kies besteht. Gleichzeitig lauert hinter jeder Kurve die Gefahr eines Zusammenstoßes mit entgegenkommenden Fahrzeugen, die grundsätzlich viel zu schnell fahren. Nach einigen Stunden bricht die Dämmerung herein, und als wir schließlich in Gilgit ankommen, habe ich mich so vollständig dem Schicksal überlassen, dass ich mit fatalistischer Ruhe den Nanga Parbat betrachte, der im kalten Licht des Vollmonds glänzt.
Hier im Norden, auf dem Weg nach Tibet und in den Himalaja, hat der Indus tiefe, beinahe unpassierbare Schluchten in die Landschaft geschnitten. Von einem Verkehrsproblem zu sprechen, wäre völlig untertrieben. An einigen Stellen müssen sich die Menschenauf ihrem Weg zur Arbeit und nach Hause vom Ufer abseilen. Morgens und abends das gleiche Bild: Auf Felsvorsprüngen stehend, sichern sich die Menschen mit Seilen ab, um sich dann an einem dünnen Führungsseil über die tiefen Schluchten zu ziehen, die von riesigen Felsmassiven überschattet werden.
Nicht weit von hier findet der sogenannte Krieg im Himmel statt. 6000 Meter über dem Meeresspiegel liegt das höchste Schlachtfeld der Welt. Seit 1984 führen Soldaten aus Pakistan und Indien vor dem Hintergrund der ungelösten Kaschmirfrage einen blutigen Krieg um die Kontrolle über den größten nichtpolaren Gletscher, den Siachen, der 78 Kilometer lang ist. Doch mittlerweile sind mehr Soldaten durch Kälte und Lawinen als durch Kämpfe umgekommen. Die Temperaturen können hier unter minus 50 Grad sinken. Doch in Delhi und Islamabad sagt man immer dasselbe: Man ist darauf vorbereitet, den Krieg so lange wie nötig fortzusetzen. Der »heiße« Krieg in diesem kalten Klima erhält zusätzliche Bedeutung und kann außerdem eine mögliche Zukunft aufzeigen, wenn man berücksichtigt, dass die Gletscher in dieser Region generell als Wasserbank betrachtet werden. Das ganze Sommerwasser des Indus stammt mehr oder weniger aus den Gletschern im Himalaja, die für Pakistan so wichtig sind, dass die militärische Führung des Landes eine Zeit lang erwog, ihnen mehr Wasser zu entziehen, indem man sie mit Lasern beschießt oder mit brennender Holzkohle bedeckt. Damit sollte die Wasserkrise in den heißen Ebenen Pakistans gemildert werden, doch der Plan wurde fallengelassen. Der Krieg um den Siachen-Gletscher muss ohnehin in seiner Gänze betrachtet werden: In einer Situation, in der der Konflikt zwischen den Atommächten Indien und Pakistan um den Indus kreist, erlangen auch die Gletscher als Wasserbank der Region große Bedeutung. Zudem handelt es sich hier um unklare Grenzen, die bei der Teilung der Länder nach 1947 in aller Eile abgesteckt wurden. Der SiachenGletscher versorgt den Fluss Nubra mit Wasser, der sich mit dem Shyok vereinigt, um danach in den Indus zu münden. Der Krieg demonstriert also, wie das Verhältnis zwischen Machtverteilung,Frischwasserzufuhr und unterschiedlichen Wassersituationen zu einem Bestandteil größerer nationaler oder regionaler Streitfragen werden
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