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Wasser

Wasser

Titel: Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Tvedt
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blicke.
    Ein gutes Stück von Paris entfernt kann man eine Welt erleben, in der säkulare Modernität und Postmodernismus keine Chance haben, Wunderglaube und Anbetung des lebensspendenden Wassers zu ersetzen. Zwischen drei und fünf Millionen Menschen kommen jedes Jahr nach Lourdes am Fuße der Pyrenäen. Mit Ausnahme von Rom zieht keine andere christliche Stadt so viele Wallfahrende an wie dieser Ort mit seinem heiligen Wasser. In den Geschäften rund um die Basilika boomt der Kommerz, und so ist es weniger die fast aufdringlich zur Schau gestellte Religiosität, die ins Auge sticht, als vielmehr der unverblümte Geschäftssinn. Überall hängen große und kleine Wasserflaschen, manche in Form der Jungfrau Maria, während andere einfachen Wasserkanistern ähneln, wie man sie heute fast nur noch bei Menschen findet, die gern zelten. Es wirkt leicht absurd, Menschen über dichtbevölkerte Einkaufsstraßen bummeln zu sehen, mit einer Marlboro oder eine Ausgabe des
Le Soir
in der einen und einer mit Wasser gefüllten JungfrauMaria-Flasche in der anderen Hand. Auf dem Platz vor der Basilikaallerdings, inmitten dieser bunten, internationalen Menschenmenge, umgeben von Kranken, die nicht gehen können und deshalb von ihren Begleitpersonen zu den heiligen Bädern gebracht werden, und angesichts des Schweigens während der Prozessionen, der zum Himmel aufsteigenden Chorgesänge und des kollektiven Hilferufs, der scheinbar in der ganzen Stadt erschallt, ist es schwierig, nicht ergriffen zu werden. Hier manifestiert sich eine ungeheure Glaubenskraft, ein kollektives Gebet für all jene, die die erkennbare und manchmal letzte Hoffnung in sich tragen, dass sie dieses Wasser von ihren Leiden erlöst.
    In dem kleinen Ort im Geburtsland des modernen Rationalismus ist das »Wasser des Lebens« als religiöses Symbol, als Bestätigung der Existenz Gottes und als sein Medium wiederauferstanden. Zwei Tage lang habe ich die Gläubigen mit ihren Flaschen beobachtet, wie sie nach dem heiligen Wasser anstehen, das einige Meter neben der heiligen Quelle aus Wasserhähnen strömt. Die Stimmung in den Warteschlangen strahlt Normalität und Seriosität aus; niemand schämt sich, das Wasser abzuzapfen oder seinen Glauben an dessen Wirkung zur Schau zu stellen. Niemand spottet darüber, wenn irgendwer eine Flasche mit heiligem Wasser füllt, um sie mit in die Heimat zu nehmen, sei diese nun in Sydney oder Zagreb. Alles wirkt so, als drücke sich ein stiller und vielleicht unartikulierter Protest gegen die Vorstellung vom Triumph des wissenschaftlichen Rationalismus aus.
    Die besondere Bedeutung Lourdes’ beruht auf einer einfachen und – wie viele sagen würden – rührenden Geschichte. Am 11. Februar 1858 offenbarte sich die Jungfrau Maria zum ersten Mal der 14-jährigen, asthmakranken Müllerstochter Bernadette Soubirous in der Massabielle-Grotte. Vier Tage später geschah das, was die Grundlage für Lourdes’ Platz in der Christenheit schuf und die Beziehung des Ortes zum Wasser so interessant macht: Nach Bernadettes späteren Aufzeichnungen sagte die Jungfrau Maria: »Geh und trinke von der Quelle und wasche dich im Wasser.« Das Mädchen, das älteste von neun Geschwistern aus einer armen Familie,konnte kein Wasser entdecken, ging aber zur Grotte hinüber. Die Jungfrau Maria bedeutete ihr mit dem Finger, dass sie unter dem großen Stein hindurchgehen solle, der den Eingang überragte. Das Mädchen fand ein wenig schlammiges Wasser, gerade so viel, dass sie etwas davon mit der Hand schöpfen konnte. Drei Mal goss sie es wieder weg, weil es so trübe war, doch beim vierten Mal schließlich konnte sie es trinken. Die Menschen in der Nähe hatten von der Offenbarung gehört und begannen, die Quelle freizulegen. Immer mehr sauberes Wasser kam zum Vorschein. Noch am selben Tag wurden zwei Flaschen in der Grotte gefüllt und in die nächste Stadt gebracht. Unmittelbar danach hörte man Geschichten von Menschen, deren ernste Krankheiten geheilt wurden, nachdem sie von dem Wasser getrunken hatten. Im März 1858 trug sich das erste der sieben Wunder zu. Eine schwangere Frau legte in der Grotte die Hände in das Wasser, woraufhin sie zwei gelähmte Finger wieder bewegen konnte. Der Papst entschied einige Jahre später, dass die Jungfrau Maria sich Bernadette tatsächlich offenbart habe, unter anderem weil Untersuchungen gezeigt hatten, dass das Wasser keine speziellen physischen oder chemischen Eigenschaften aufwies. Als Bernadette im Jahr 1933

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