Wasser
Flusses liegen, machen deutlich, wie wichtig die Seine für die Geschichte der Stadt war und ist. 63 Im Louvre, der jährlich von vielen Millionen Menschen besucht wird, habe ich mir tags zuvor den »Codex Hammurapi« angesehen. Die Steinstele entstammt der mesopotamischen Zivilisation des 18. Jahrhunderts v. Chr. und enthält die ersten bekannten Gesetze zur Verwendung von Wasser.
In der sommerlichen Wärme und der trägen Samstagmorgenstimmung falle ich in einen Zustand der Ruhe; ein Gefühl, als würde sich die Gegenwart auflösen – so, wie man es nur auf Reisen erleben kann. Natürlich habe ich die Gebäude schon früher angeschaut, doch jetzt, in diesem Halbschlaf, kommt es mir vor, als ob ich deutlich sehen könnte, wie Napoleon zusammen mit Jean-Paul Sartre den Triumphbogen errichtet. Jäh werde ich von einem schwedischen Paar, das sich auf einer Bank ein paar Reihen hinter mir niedergelassen hat, aufgeschreckt. Laut regt sich der Mann über die Leistungen eines Fußballers auf. Ich beeile mich, an der nächsten Anlegestelle auszusteigen.
In einer der kleinen Straßen in der Nähe der Tuilerien finde ich, was ich suche: Colette – die erste »Wasserbar« Europas. Sie liegt im Keller einer trendigen Boutique, die Musik, Designerschmuck, Designerbücher und Designerkleidung verkauft. Die Gäste in diesem minimalistisch eingerichteten Lokal können zwischen ungefähr hundert verschiedenen Wassersorten wählen. 64 »Dieses hier ist bei den Modesklaven gerade äußerst populär«, sagt der Kellner, als er eine Flasche aus New York vorzeigt. Er präsentiert das Wasser so, als ob es sich um kostbare Weine handele. »Voss« aus Norwegenist natürlich auch dabei – Madonnas Lieblingswasser, das in exklusiven Restaurants und Hotels in den USA verkauft wird. Die Marke demonstriert eindringlich die Bedeutung von Image und Verpackung. Das Wasser kommt allerdings nicht aus Voss, sondern aus Iveland in Telemark – der Name »Voss« wurde nur aufgrund des einprägsamen Wortklangs ausgewählt. Es schmeckt weder besser noch schlechter als irgendein anderes Mineralwasser. Aber die Flasche strahlt eine moderne Ästhetik aus: ein klares Design, das gleichzeitig Reinheit assoziieren lässt.
Während ich die verschiedenen Flaschen inspiziere, ein paar der mir präsentierten Sorten probiere (deren angeblich unterschiedlichen Geschmack ich auch nach zahlreichen Kostproben nicht herausfinden kann) und mir den leicht monotonen Vortrag des Kellners über die Vorzüge der einzelnen Produkte anhöre, wird mir einmal mehr klar, dass der Kampf um die Herrschaft über reines, unberührtes Wasser weltweit zunehmen wird. In Flaschen abgefülltes Wasser ist mittlerweile teurer als Rohöl geworden und kann bis zu 5000 Mal mehr kosten als gewöhnliches, aus dem Wassserhahn stammendes Wasser. In einem Restaurant gekauftes Mineralwasser übersteigt den Preis von Leitungswasser um mehr als das Tausendfache.
Die Mineralwasserindustrie ist eine Wachstumsbranche, nicht nur im Westen, sondern überall auf der Welt. In den letzten zehn Jahren hat sich der Verbrauch mehr als verdoppelt. Während das Colette eine reine Wasserbar ist, gibt es mittlerweile auch in exklusiven Restaurants nicht nur eine Wein-, sondern zudem eine Wasserkarte. Oft ist sie ziemlich umfangreich und bietet ebenso nationale wie importierte Wassersorten. Hier drückt sich ein historisch völlig neues Phänomen aus: Von einer bestimmten Quelle aus wird Trinkwasser über tausende Kilometer verschickt, um auf Restaurant- und Cafétischen in der ganzen Welt zu landen.
Parallel dazu findet ein zunehmender Kulturkampf um Mineralwasser und seine soziale Bedeutung statt. Die größte protestantische Kirche in Kanada hat eine Kampagne begonnen, um die Menschenvom Mineralwasserkonsum abzuhalten. Nach Ansicht der Kirche handelt es sich bei diesem Thema um eine der wichtigsten ethischen Fragen unserer Zeit; eine Gabe Gottes darf, wie die Kirchenvertreter verkünden, nicht zum Bestandteil eines kommerziellen Spiels werden. Rein pragmatisch argumentiert die Kirche mit dem Preis: In Kanada kostet Flaschenwasser 3000 Mal mehr als Leitungswasser. Obwohl Geschmack und Bekömmlichkeit völlig gleich sind, wird – nach Ansicht der Kirche – der Konsum von Flaschenwasser in dem Maße, in dem er zur Mode wird, nur dazu führen, dass ein paar große Unternehmen Unsummen verdienen, während arme Familien ihr Geld für völlig unnütze Produkte ausgeben. Doch sehr wahrscheinlich ist der Kampf der
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