Wasser
nur zehn oder zwanzig Meter unter uns liegt.« Er deutet auf kleine Pfützen, in denen das Wasser aufgrund chemischer Reaktionen brodelt. »Das Zuckerrohr wird von Flugzeugen aus mit Insektenmittel besprüht«, was für das Grundwasser katastrophale Folgen hat. Die Regierungen müsste dazu entsprechende Gesetze und ein verbindliches Regelwerk verabschieden.
Doch das ist nicht das einzige Problem. Es gilt, verschiedene Hindernisse zu überwinden: Wem gehört das Wasser, und wie sollen die Eigentumsverhältnissse geklärt werden? Mithilfe der Weltbank haben sich die beteiligten Länder über gemeinsame Institutionen darüber verständigt. Doch das Misstrauen ist groß. Immer wieder höre ich Gerüchte, dass die USA beabsichtigten, sich die Ressource unter den Nagel zu reißen. Wird derjenige, der das Land über dem Wasser besitzt, auch über das Wasser selbst bestimmen können? In diesem Fall würden die Indianer über eine riesige Wasserressource verfügen können, vorausgesetzt, dass ihnen das entsprechende Land zugeprochen wird. Und wie soll ein gerechtes System zur Nutzung des Reservoirs installiert werden, wenn schon so schwierig zu klären ist, was eigentlich wem gehört?
Dösend liege ich in einer der vielen Spa-Einrichtungen des Kurhotels, die mit dem Wasser des Guaraní-Aquifers betrieben werden, um Touristen anzulocken. Hier, unweit der Iguazú-Wasserfälle, fühlt sich das Wasser wirklich rein und mineralhaltig an. Allerdings mag dieser Eindruck eine Folge der Werbemaßnahmen des Hotels sein, in denen behauptet wird, dass das Wasser in den Becken alle vier Stunden ausgetauscht werde. Doch andererseits steigt hier das Wasser tatsächlich unentwegt aus den unerschöpflichen Tiefen – und das bei einer Temperatur von 37 Grad.
In einem Zeitalter, das von großer Unsicherheit über die künftige Wasserlandschaft geprägt ist, verfügt diese Gegend nun also über eine berechenbare Wasserbank, eine strategische Reserve, um die sie alle anderen Regionen beneiden werden. Die Nutzung des gigantischen unterirdischen Meeres, das niemand sieht und dessen Kontrolle schwierig ist, wird Regeln und Kooperationsformen erfordern, die noch nicht entwickelt sind. Kein anderer Kontinent hat mehr Wasser pro Einwohner zur Verfügung als Südamerika. Denn schließlich gibt es dort nicht nur den Guaraní-Aquifer, sondern auch große Flüsse, wie zum Beispiel den Amazonas.
Der erste Europäer, der den Amazonas erforschte, war der spanische Soldat Francisco de Orellana. Er soll den Fluss 1541 getaufthaben, nachdem er heftige Kämpfe zwischen Kriegerinnen beobachtet hatte, die er mit den Amazonen der griechischen Mythologie verglich. Dreihundert Jahre später schrieb der englische Naturhistoriker Henry Walter Bates, der die Jahre zwischen 1848 und 1859 im Reich des Amazonas verbracht hatte, sein in zwei Bänden erschienenes Reisebuch »Am Amazonas«, das noch heute den großen Klassikern zugerechnet wird. Für mich allerdings ist eines der ersten »Erwachsenenbücher«, die ich las, noch immer
das
herausragende Buch über den Strom: »Die verlorenen Spuren« (1953) des kubanischen Autors Alejo Carpentier. Dieses Werk, dessen Stimmung einen unauslöschlichen Eindruck bei mir hinterlassen hat, erzählt von einer flussaufwärts führenden Reise, die wie eine Fahrt zu den Quellen oder Ursprüngen des Lebens geschildert wird. Ein desillusionierter Musiker aus New York fährt zusammen mit seiner Freundin den Amazonas hinauf – auf der Flucht vor dem, was er als leere und sinnlose Existenz in den USA empfindet, und um wieder an ein altes Projekt anzuknüpfen: Er sammelt Musikinstrumente aus allen Teilen der Welt. Carpentier erzählt, wie er in einem Dorf irgendwo am Oberlauf des Flusses wiedergeboren wird, in einem Dorf, das außerhalb der Geschichte existiert, abseits der westlichen Zivilisation. Die Handlung ist wie eine umgekehrte Version von Joseph Conrads »Herz der Finsternis«: Die Zivilisation lebt im Dschungel, und die Wilden befinden sich in der Stadt, die der Protagonist verlassen hat. Aus unerklärlichen Gründen erinnere ich mich am besten an jene Stellen, an denen der Autor beschreibt, wie sich die Inspirationsquellen der Musik sukzessive verändern – die Musik kommt mehr und mehr aus der Erde, oder vielmehr: Der Protagonist hört immer mehr von der Musik, die die Erde spielt, also den Wind, die Bäume und zuallererst das Wasser.
Der Amazonas, eindeutig der majestätischste aller Flüsse, ähnelt keinem anderen Strom der
Weitere Kostenlose Bücher