Wasser
ebenso wenig, um den berühmten Itaipu-Staudamm aufzusuchen, der den südlichen Teil Brasiliens ein für alle mal verändert hat und 90 Prozent des paraguayischen sowie 25 Prozent des brasilianischen Elektrizitätsbedarfs deckt. Nein, ich bin vor allem hierher gereist, um mir etwas anzusehen, das zwar äußerlich ziemlich unspektakulär wirkt, künftig allerdings eine überaus große, wenngleich noch nicht abzuschätzende Bedeutung erlangen wird: Vor kurzem wurde hier in der Region, gleich unterhalb der Wasserfälle und unweit jenem Ort, an dem neben dem Iguazú weitere Flüsse in die große Ebene strömen, ein noch vielgrößeres »Wasser« entdeckt – eines der größten, wenn nicht sogar das allergrößte Grundwasserreservoir der Welt. Man bezeichnet es als Guaraní-Aquifer, weil es ungefähr dieselbe Fläche umfasst, die einst von den Guaraní-Indianern kontrolliert wurde. Allein unter Brasilien ist dieses Wasserreservoir so groß wie England, Frankreich und Spanien zusammen, erstreckt sich aber auch unter Argentinien, Paraguay und Uruguay. 86
Dieses größte bekannte »Meer unter der Erde« umfasst eine Gesamtfläche von 1 190 000 Quadratkilometern und enthält circa 37 000 Kubikkilometer Wasser. Die gesamte Weltbevölkerung könnte 200 Jahre davon trinken, die 150 Millionen Brasilianer würden sogar 2500 Jahre benötigen, um es aufzubrauchen. 70 Millionen Menschen sind derzeit direkt oder indirekt von diesem Reservoir betroffen. Es entstand vor über 130 Millionen Jahren und vermehrt sich unter anderem dank eines jährlichen Niederschlags von zwei Metern – beispielsweise in der Region der Wasserfälle – um so viel Wasser, wie der Nil in zwei Jahren mit sich führt. Das Reservoir ist also eine gigantische Wasserbank, die sich teilweise von selbst erneuert.
Die Jagd auf die großen und bisher unentdeckten Wasserreservoire der Welt sowie die Kontrolle darüber wird immer bedeutender werden, wenn noch mehr Länder aufgrund eines steigenden Bedarfs einerseits und sich verändernder Niederschlagsmengen andererseits Wasserkrisen erleben. Der Guaraní-Aquifer und andere Reservoire, die durch neue Untersuchungsmethoden ganz sicher gefunden werden (unter anderem wurden unlängst große Wasserreservoire unter Darfur im Sudan, auf dem indischen Subkontinent und in China entdeckt), schaffen nicht nur einen neuen Brennpunkt für Wasserkonflikte sondern bilden zudem ein an der Realität orientiertes Gegengewicht zu den in letzter Zeit so beliebten Vorstellungen vom bevorstehenden Jüngsten Gericht. Nur 0,0001 Prozent des auf der Erde insgesamt vorhandenen Wassers befindet sich in den Flüssen, die vom Klimawandel bedroht sind und um die sich einzelne Länder streiten. Das meiste Süßwasser derWelt bergen Grundwasserreservoire unter der Erde, die zumindest auf kurze Sicht von Klimaveränderungen nicht betroffen sind. Und diese enthalten einhundert, ja vielleicht sogar eintausend Mal mehr Wasser als sämtliche Flüsse und Seen der Erde. 87 Insofern illustriert der Guaraní-Aquifer dieses generelle Szenario; seine Entdeckung hat parallel dazu allerdings auch einer bereits wasserreichen Region neue Möglichkeiten verschafft.
Das Reservoir wird ganz sicher sowohl nationale als auch internationale Industrien wie ein Magnet anziehen. In Araraquara ist das bereits Wirklichkeit. Das Wasser, das hier aus dem Grund gepumpt wird, kann ohne Aufbereitung direkt getrunken werden. Als ich mein Glas unter den Wasserhahn halte und es mit dem Grundwasser fülle, das hier auf dem Areal des städtischen Wasserwerkes aus der Erde kommt, blickt mich einer der Wasseringenieure stolz an. »So etwas kommt in Brasilien nur selten vor. Aber dieses Wasser ist völlig rein«, sagt er. »Und es schmeckt gut«, füge ich hinzu.
»Coca-Cola hat sich hier niedergelassen, außerdem europäische Bier- und brasilianische Saftproduzenten. Der Ort ist zu einem Magnet für zahlreiche Industriezweige geworden, die Bedarf an sauberem Wasser haben.« Beim Mittagessen – einem opulenten Büfett – berichtet mir der Lokalpolitiker Carlos Nascimento, wie die Entdeckung des Reservoirs der ganzen Region eine neue Zukunft beschert hat.
Doch das Reservoir ist auch bedroht. Er fährt mit mir aus der Stadt hinaus. Nach einer Weile biegen wir von der Hauptstraße ab und durchqueren endlos wirkende Zuckerrohrplantagen. »Schauen Sie mal, hier können Sie sehen, wie sich das Gift mit dem Wasser vermischt und in das Grundwasserreservoir sickert, das an dieser Stelle
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