Wasser
– jener des Hauptspeichers sogar um einige Meter. Ohne drastische Maßnahmen steht das politische Machtzentrum Chinas vor einer großen Bedrohung.
Der Kampf zur Lösung des Wasserproblems in Peking und im Norden des Landes hat verschiedene Formen. Wassersparer haben mittlerweile den Status von Nationalhelden errungen. Ich besuche solch eine Familie in einem heruntergekommenen Vorort der Hauptstadt und werde gebeten, auf dem Sofa unter dem Porträt Maos Platz zu nehmen, das eine zentrale Position in dem ansonsten fast leeren Wohnzimmer einnimmt. Die Familie beteiligt sich an den Kampagnen zum Wassersparen, die der Staat ins Leben gerufen hat und die von örtlichen Komitees beaufsichtigt werden. Das weibliche Familienoberhaupt berichtet stolz, dass die Familie schon Preise für ihre Wassersparmethoden erhalten hat. Sie lassen zum Beispiel das Wasser nicht in die Kanalisation ablaufen, nachdem sie es zum Händewaschen benutzt haben, sondern in einen Bottich, so dass es mehrfach verwendet werden kann. Das enge, nur wenige Quadratmeter große Badezimmer ist deshalb angefüllt mit Eimern und diversen Behältnissen – ein primitives System der Wiederverwertung, das gleichwohl bedeutsam wäre, wenn ihm eine Milliarde Menschen folgen würden. Aber auch das würde bei dem gegenwärtigen Entwicklungstempo nicht ausreichen. Die chinesische Führung will daher bekanntlich eine ganze Reihe von Projekten umsetzen.
Eine Wasserreise in China muss natürlich dort enden, wo der Große Yu, der Urkaiser, majestätisch auf seinem Sockel steht und über den Gelben Fluss blickt, denn schließlich erzählen die Mythen davon, dass er das Land erschuf, als er vor über viertausend Jahren den Fluss zähmte. Es scheint, dass die chinesische Entwicklunggeschichte geradlinig vom Großen Yu zur heutigen politischen Führung des Landes verläuft. Sollten die gigantisch angelegtenWasserprojekte gelingen, wird vielleicht auch die Erinnerung an gegenwärtige Politiker ähnlich ehrenvoll ausfallen und genauso lange währen wie jene an Yu, denn dann wird China die strukturelle Grundlage für Wachstum und Stabilität geschaffen haben. Gelingen die Projekte hingegen nicht, oder verkehren sie sich ökonomisch gar in ihr Gegenteil, wird nicht nur das Regime, sondern der ganze Staat vom Zusammenbruch bedroht sein, weil die riesigen Investitionen und die zentrale Autorität in Frage gestellt werden. Sollte dieser Versuch zur Änderung der Geografie und des Aussehens Chinas misslingen, wird sich zeigen, dass ein Großteil der chinesischen Ökonomie auf einer Illusion beruhte – auf Wasser nämlich, das es dann nicht mehr ausreichend gibt. Angesichts eines weiteren jährlichen Wirtschaftswachstums von zehn Prozent auf der einen Seite und der staatlich legitimierten Kontrolle der Gesellschaft auf der anderen Seite ist es keinswegs die Demokratiebewegung, die für die chinesische Führung die größte strukturelle Herausforderung darstellt. Zu Füßen der Statue des großen Yu bin ich mir sicher: Auch in Zukunft wird die Beherrschung des Wassers die Entwicklung Chinas bestimmen – so wie schon seit tausenden von Jahren.
Das unterirdische »große Wasser« im alten Indianerland
Südamerika ist reich an Wasserfällen. Ganz oben auf der Liste der Touristen stehen die Katarakte von Iguazú an der Grenze zwischen Argentinien und Brasilien. Sie sind drei Mal so breit wie die Niagarafälle und wesentlich größer als die Victoriafälle – 275 Wasserfälle zwischen 60 und 82 Metern Höhe stürzen hier in einen hufeisenförmigen Kessel hinab. Sogar angesichts der riesigen, dichtgedrängten Besucherschar machten die Wasserfälle mit ihrem tosenden Lärm und dem Licht, das den Wasserdampf fast mit dem Himmel verschmelzen ließ, einen überaus lebendigen und starken Eindruck auf mich, und ich dachte, dass genau diese Menschenmenge das Gefühl der menschlichen Besessenheit und Ohnmacht gegenüber dem »großen Wasser« nur verstärkte.
Iguazú bedeutet »großes Wasser« in der Sprache der Guaraní-Indianer, die die Region lange vor Ankunft der Europäer bewohnten. Und »groß« ist dieses Wasser in der Tat, denn in der Regenzeit stürzen hier 12 750 Kubikmeter Wasser pro Sekunde in die Tiefe, was ungefähr dem 240-fachen Wasservolumen der Themse entspricht. Riesige Wassermassen also ergießen sich mit tosendem Lärm in eine enge Schlucht, die »Teufelsschlund« genannt wird.
Aber ich bin nicht nur nach Südamerika gekommen, um mir diese Wasserfälle anzusehen. Und
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