Wassermanns Zorn (German Edition)
die nicht ins Schema passte.
Das wurde Manuela Sperling schlagartig klar, als sie auf der Toilette saß und auf die Wanne in ihrer eigenen Wohnung starrte.
Eigentlich war sie spät dran und hätte schon unten vor der Tür stehen sollen, denn ihr Fahrer würde jeden Moment eintreffen, aber ihre Blase ließ sie nicht in Ruhe. Im kalten Wasser des Gorreg hatte sie sich eine Erkältung mit Blasenentzündung zugezogen. Ihre geröteten Augen tränten heftig, die Nase lief wie ein undichter Wasserhahn, und ihre Blase schlug dauernd falschen Alarm. Sie hatte sich schon besser gefühlt, aber wenigstens lebte sie noch. Andere waren gestorben.
Vor Aufregung wurde ihr plötzlich ganz heiß.
Warum war ihr das nicht schon früher aufgefallen?
Lögur Turunnen, den alle nur den Wassermann nannten, hatte seine Opfer draußen in der freien Landschaft in natürlichen Seen ertränkt. Sie konnten ihn nicht fragen, warum, und sie würden seine Beweggründe wohl nie erfahren, aber nach allem, was Manuela bisher herausgefunden hatte, musste es etwas mit dem Tod seiner Schwester im Gorreg zu tun haben. Das war jetzt aber nicht so wichtig. Wichtig war, dass es nicht zum Verhalten des Wassermanns passte, ein Opfer in einem geschlossenen Raum in der Badewanne zu ertränken. Es musste jemand anderes getan haben.
Aber ihre Vermutung und ihre Intuition reichten nicht. Sie würde es beweisen müssen. Und das hatte sie vor. Menschen waren gestorben, weil Nielsen und Stiffler korrupt waren. Manuela würde sie nicht davonkommen lassen. Für Stiffler spielte es keine Rolle mehr, der war tot. Man hatte seine Leiche im Gorreg gefunden. Er war ertrunken.
Aber Nielsen lebte, und wahrscheinlich war er sogar der Schlimmere von beiden. Der Anführer. Ein Soziopath in den Reihen der Polizei, der es verstanden hatte, andere für sich zu gewinnen. Sie selbst eingeschlossen. Manuela schämte sich, wenn sie daran dachte, wie sehr sie sich gefreut hatte, jemandem vertrauen zu können. Ihm vertrauen zu können.
Es klingelte an der Tür.
«Mist», sagte Manuela, sprang auf, spülte, zog sich an und warf einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken. Sie sah beschissen aus und wollte ihm so nicht gegenübertreten, aber ihr fiel ein, dass er sie bereits in schlechterem Zustand gesehen hatte. Kotzend und heulend und am Boden zerstört. Es spielte also keine Rolle. Trotzdem fuhr sie sich schnell noch durchs Haar, legte Lippenstift auf und eilte dann an die Tür.
«Willst du das auch wirklich?», fragte Manuela, während sie den Gurt anlegte. «Du musst nicht.»
«Nein, nein, ist schon okay», sagte Frank Engler. Er startete den Motor seines Taxis und sah sie an. «Ich mach das schon.»
Er sah gut aus, fand Manuela. Ausgeruht. Ohne tiefe Ringe unter den Augen. Bis gestern Abend hatte er im Krankenhaus gelegen und sich mal so richtig ausgeschlafen. Als Manuela ihn aus dem Wasser gezogen hatte, war er mehr tot als lebendig gewesen, aber sie hatte ihn nicht wiederbeleben müssen. Seine Kataplexie hatte nur ein paar Sekunden angedauert, deshalb hatte er kaum Wasser geschluckt.
«Wie geht es dir?», fragte Manuela ihn, nachdem er losgefahren war.
Frank zuckte mit den Schultern.
«Ich weiß nicht … schwer zu sagen. Körperlich jedenfalls gut.»
«Das ist schön, aber das meinte ich nicht.»
Frank presste die Lippen zusammen und schlang die Finger so fest ums Lenkrad, dass die Knöchel die Haut spannten. Er starrte durch die Windschutzscheibe und suchte nach einer Antwort.
«Sie ist tot», sagte er schließlich so leise, dass Manuela es kaum verstehen konnte. «Weil ich in dieser Nacht in meiner Wohnung eingeschlafen bin, ist sie jetzt tot.»
Er rang um Fassung und war den Tränen nah. Manuela hatte geahnt, dass die ganze Sache bei ihm noch dicht unter der Oberfläche lauerte. Niemand steckte so etwas in ein paar Tagen weg. Sie selbst nicht und auch kein Mann. Aber Frank hatte ihr das Leben gerettet, deshalb durfte sie nicht zulassen, dass er sich mit Vorwürfen quälte.
«Das ist totaler Quatsch», sagte sie, ohne groß darüber nachzudenken. «Du trägst überhaupt keine Schuld daran. Und wenn ich dich noch einmal so etwas sagen höre, sperre ich dich zu deinem eigenen Schutz in eine Zelle und quatsche dich so lange voll, bis du mir glaubst. Hey, du hast mir das Leben gerettet. Du bist mein Held. Du darfst um Lavinia trauern, und es wäre auch schlimm, würdest du es nicht tun, aber Vorwürfe machen darfst du dir nicht. Das ist polizeilich verboten.
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