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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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der UdSSR (WAAP), Moskau
    Copyright © 1988 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München
    Aus dem Russischen übersetzt von Anna Maria Platzgummer-Kienpointner
    Illustriert von Klaus D. Schiemann

 
Eddy C. Bertin
Die Todesträume der Sybillia Sternenstaub
     
    Die Lichtpyramiden auf der Veranda strahlten gedämpftes grünes Licht aus, kleine einladende Signale. Insekten aus den umliegenden Feldern flogen gegen die transparenten Umhüllungen, um sich durch das begehrte Licht versengen zu lassen.
    Sybillia Sternenstaub schaute zum Nachthimmel auf, der einer samtigen dunklen Zunge glich, bedeckt mit Tausenden von glitzernden Pünktchen, die wie Parasiten aussahen. Das Sternenlicht war zu schwach, um Reflexe in Sybillias Pupillen zu zaubern; sie blieben matt und ausdruckslos wie die trübe Oberfläche von unpoliertem schwarzem Diamant. Ihre kleinen Finger krampften sich um das Geländer der Veranda – auf, zu – automatische Muskelbewegungen, unabhängig vom bewußten Denken. Sybillia ließ den Todestraum über sich kommen. Der Traum sank aus dem dunklen Himmel nieder, unwiderstehlich, unabwendbar. Damals, beim ersten Mal, hatte sie irgendwie verschwommen verstanden, was der Traum bedeutete, auch wenn sie es nicht in Worte fassen konnte. Wie jedesmal hatte sie auch diesmal versucht, sich gegen den übermächtigen Traum zu wehren, doch sie hatte versagt und konnte jetzt nicht anders, als sich ihm zu öffnen, ihn zu absorbieren und zu hoffen, daß es diesmal nicht zu schlimm werden würde. Ihre dünnen Lippen verzogen sich zu einem verzerrten Lächeln, ähnlich dem gezackten Rand eines Mondkraters. Sybillias Körper änderte auf eine für sie unverständliche und auch belanglose Weise die Befehle ab, die er von ihrem Geist empfing. Ihr Lächeln war ein Ausdruck des Schmerzes. Doch das hatten ihre Eltern nie begriffen.
    Majestätische dunkle Hände krochen nun wie träge Quallen über die Himmelszunge und streckten ihre würgenden Finger aus. Die Hände vermehrten sich wie Spielberg-Gremlins in Wasser und fächerten breit aus, bis sie die Sterne ganz verdeckten. In der Ferne wirbelte ein Geistertrommler sein Solo, das verkündete: Sturm ist im Anzug!
    Sybillia ignorierte die Warnung. Ihre Gedanken fühlten sich klamm und ängstlich an, je stärker der Druck in ihrem Hinterkopf wurde. Immer fing er im Nackenbereich an und breitete sich dann über den Kopf und im Innern des Kopfes aus. Es war wie eine Zwangsjacke, die ihren Kopf von außen wie von innen umschloß. Sie beobachtete, wie die Spukhände nach und nach die Sterne auslöschten. Als sie viel jünger gewesen war und Mutter sich noch die Zeit genommen hatte, ihr Geschichten zu erzählen – als das ihrer Mutter noch wichtig gewesen war –, hatte sie geglaubt, daß der Himmel dort oben voller Elfen sei und die Sterne ihre leuchtenden Augen, mit denen sie in der Nacht auf die Erde und auf sie niederschauten. Sybillia hatte ihnen damals Namen gegeben, doch die waren jetzt bedeutungslos geworden. Es waren nur Himmelskörper, so weit entfernt, daß sie sehr klein erschienen. In Wirklichkeit waren die meisten von ihnen viel größer als die Erde selbst. Das hatte Vater ihr erzählt, als es ihm noch wichtig gewesen war, mit Sybillia zu reden. Die wahre Bedeutung von ›Himmelskörpern‹, der ›Sterne‹ und des ›Raumes‹ hatte sie selbst herausgefunden: durch die Worte, die nicht gesprochen wurden, sondern wie ein Echo in ihrem Geist flüsterten. Sybillia war klug, doch auch das war für niemanden von Bedeutung, oder die anderen begriffen es einfach nicht. Die Worte, die nicht gesprochen wurden, waren vielgestaltig, und es waren eigentlich auch keine Worte, denn in Sybillias Geist hatten sie Form und Farbe und waren auf merkwürdige Weise sogar gegenständlich. Mehrmals hatte sie versucht, dies Vater und Mutter zu erklären, doch sie hatten es nicht verstanden oder nicht verstehen wollen und schon bald die Geduld verloren. Anfangs hatte sie das verwirrt, doch mittlerweile machte es ihr nichts mehr aus. Sybillia hatte eine Lösung für das Problem gefunden: Sie versuchte erst gar nicht mehr, ihr Wissen mitzuteilen. Ihre Türen waren offen gewesen, bis sie eine nach der anderen verschlossen und versiegelt hatte. Manche, die sie nicht hatte verriegeln können, standen noch einen Spaltbreit offen, und diese Türen waren es, durch die die Worte, die nicht gesprochen wurden, manchmal hereintröpfelten – ebenso wie die Todesträume.
    Der Trommler näherte

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