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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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sich über die flachen Felder, die die Villa umgaben, der Vorposten eines drohenden Heeres, gehüllt in Schatten und herannahende Regenvorhänge. Die Trommelsoli wurden schneller, heftiger, und die Elfen des Himmels verteidigten sich, indem sie blauweiße Feuerfinger auf das Donnerheer hinabwarfen. Durch die Lichtblitze wurde die Trostlosigkeit der dunklen Felder noch verstärkt. Der Druck in Sybillias Kopf, der von rückwärts gegen ihre Augäpfel drückte und die Zunge in ihrem Munde anschwellen ließ, wurde von den Blitzen nicht gelindert. Der Todestraum war wie ein Geist, der sie in einen Mantel des Wartens kleidete, einen unerwünschten Mantel, den sie nicht ablegen konnte.
    Wie jedesmal wurde der Traum von den Worten begleitet, die nicht gesprochen werden. Meistens verstand Sybillia ihre Bedeutung nicht, außer wenn sie Gestalten von Menschen annahmen, die sie kannte oder gekannt hatte. Die ungesprochenen Worte entstanden einfach in ihr, je mehr der Todestraum sie in Besitz nahm.
     
    »Es ist eine wahnsinnige Idee!« sagte ihr Vater. Es war eindeutig seine Stimme, aber in den »Worten« sah er anders aus, als Sybillia ihn kannte. Er schien größer, magerer, und er hatte einen Schnurrbart, der wie ein behaartes Insekt zu beiden Seiten seines Kinns herunterhing. Ihr Vater hatte keinen Schnurrbart, aber dieser Vater hatte einen. Er war auch ganz anders gekleidet, als sie es gewöhnt war.
    Eine zweite Gestalt nahm Form an in »den Worten«, eine Gestalt auf einem Stuhl, die mit flackernden Schalttafeln und gläsernen Behältern mit pulsierenden Flüssigkeiten verbunden war. »Es ist nicht wahnsinnig, Ludwig«, sagte Großvater, »ich habe diesem Projekt den größten Teil meines Lebens geopfert. Und ich werde es vollenden. Ich wollte immer ins All, doch diese verdammten Doktoren wollen mich nicht gehen lassen. Deshalb werde ich das All auf meine Art erobern. Die Kommunikation zwischen den Schiffen, den Sternen, selbst die mit den Sonderzonen erfordert zuviel Zeit. Immer noch dauert es Tage oder gar Wochen, je nach Sternenzone, um Nachrichten von einer Welt zur anderen zu befördern. Mein Projekt kann … wird dieses Problem lösen.«
    Der Mann, der Sybillias Vater ähnelte – nein, er war tatsächlich ihr Vater –, schüttelte den Kopf. »Ich weigere mich«, sagte er. »Ich weigere mich, mich für ein derartig absurdes Projekt benutzen zu lassen. Du bist mein Vater, aber du kannst mich nicht zwingen, daran teilzunehmen. Du gibst selbst zu, daß die Droge noch nicht am Menschen getestet worden ist, und nun verlangst du von mir, daß ich …«
    »Aber du hast keine Wahl«, sagte Großvater. »Du meinst, ich wollte dir eine Injektion verabreichen? Du hast nie richtig zugehört und nie verstanden, Ludwig. Die Droge ist schon längst getestet. Vor zwanzig Jahren nahm ich selbst die erste Injektion, ein Jahr später die zweite, und im nächsten Jahr die dritte. Im Jahr darauf wurdest du geboren. Verstehst du jetzt? Die Droge befindet sich in all deinen Zellen, in den Bausteinen deines Körpers und Geistes. Und sie wirkt! Sie bewirkt eine allmähliche Veränderung der Gene über Generationen hinweg. Ich selbst verkörpere die erste Generation, und du die zweite. Du sendest, auch wenn es dir nicht bewußt ist, und ich empfange deine Signale, wenn auch nur in beschränktem Maße: nicht Worte, sondern Empathie. Eindrücke, Fragmente. Ich weiß es, seitdem du geboren wurdest … Und auch vor deiner Geburt konnte ich dich schon fühlen. Ich bin die Frage, du die Antwort, und die dritte Generation, Ludwig, wird Frage und Antwort sein: Kommunikation, die nicht länger an Raum und Zeit gebunden ist. Als du geboren wurdest, Ludwig, ließ ich unseren Namen in ›Sternenstaub‹ umändern … Der zeitlose Stoff zwischen den Sternen, Träger der Unendlichkeit … Der Stoff, der alles im Universum verbindet, wurde für mich zum Symbol für das, was du ein ›absurdes Projekt‹ nennst. Du mußt das Begonnene vollenden, Ludwig. Ich will die dritte Generation noch selbst erleben. Ich will ein Enkelkind.«
    »Du bist völlig verrückt! Du hast deinen eigenen Körper mit dieser utopischen Droge verseucht und meinen Körper vielleicht von Anfang an damit verdorben, und jetzt willst du diesen Wahnsinn auch noch weiterführen.«
    »Sind nicht alle Träume irgendwie wahnsinnig, Ludwig? Ich weiß, daß das Projekt erfolgreich sein wird, und du willst es nicht wahrhaben. Weshalb solltest du nicht mit Marleen ein Kind haben wollen? Ihr seid

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