Wassermans Roboter
nach.
Prä-Sex-Parfüm, dachte Marleen wütend, während sie ins Wohnzimmer ging. Wer brauchte das hier schon? Sie wurde alt! Und wem hatte sie das zu verdanken! Was für ein armseliges Leben sie doch führte! Alles hatte so gut angefangen, als sie Ludwig geheiratet hatte, doch nun sehnte sie sich immer stärker nach dem Ende des Zehnjahresvertrags – und das lag nicht mehr in so weiter Ferne. Ludwig hatte einen guten Posten als Pilot erster Klasse für die Innenwelten gehabt, und sie war 3D-Monteuse für die Lynch-Studios gewesen. Ludwigs Vater (der »Alte«) war nicht einfach nur steinreich gewesen, er hatte soviel Geld gehabt, daß er nicht mehr gewußt hatte, was er damit anfangen sollte. Doch wie die meisten Reichen hatte auch er ausgerechnet das haben wollen, was all sein Geld ihm nicht geben konnte: das All. Er war von der Sternenkrankheit befallen. Der Alte war schwächlich gewesen, in seinen letzten Jahren mehr Cyborg als Mensch, von künstlichen Organen am Leben gehalten. Trotzdem war es ihm gelungen, seinen Lebenstraum zu verwirklichen: Er hatte zwei Reisen ins All gemacht, als lebendes Skelett mit schwachen Organen, gefangen in einer Kapsel wie in einer metallenen Todeskiste – ein Sterbender, der sich endlich seine Jugendträume erfüllen konnte. Er hatte Mars besucht, und während seiner Reise zur Venus war er gestorben. Doch seine Krankheit hatte er seinem Sohn vererbt.
Ludwig war ein wahrer Sohn seines Vaters: intelligent, entschlossen und ebenso vom All besessen wie der Alte. Dieser hatte ihr schon von Anfang an zu den Sternen schicken wollen, auf daß er in den Felsen irgendeiner gottverlassenen Welt seinen Namen eingravieren sollte. Aber erst nach dem Tod des Alten hatte sich Ludwig um seine Versetzung bemüht. Das, was ihm dazu an Wissen fehlte, konnte er sich erkaufen, denn nach dem Tod seines Vaters hatte er Geld wie Heu.
Der Holo im Wohnzimmer sendete eine Talkshow. Ein Mann im Smoking und zwei junge Frauen saßen auf Geisterstühlen mitten im Raum. Marleen schnippte mit den Fingern, und ein Stuhl glitt durch das Zimmer und gesellte sich zu den anderen. Marleen nahm Platz.
Sybillia saß im Lehnstuhl und verfolgte die Show, doch am starren Blick ihrer Augen war deutlich zu erkennen, daß sie nicht wirklich Anteil nahm.
Womit habe ich dies alles verdient? dachte Marleen. Ein Ehemann, Lichtjahre entfernt auf irgendeiner Kontrollstation, die um einen Kolonisationsplaneten kreist, von dem ich noch nie gehört habe und dessen Namen ich nicht einmal behalten kann. Und mein Kind könnte ebensogut ein Roboter sein, obgleich ein Roboter wahrscheinlich noch direkter reagieren würde.
»Das wird sich verlieren, wenn sie älter wird«, hatte der Psychiater gesagt. »Eine vorübergehende Phase, mehr nicht.« Doch es war viel mehr als das. Autismus war es glücklicherweise nicht, doch wo lag da der Unterschied? Sybillia verhielt sich normal, sie war reinlich, sie brauchte nicht gefüttert zu werden, war intelligent für ihr Alter, aber sie war völlig unkommunikativ.
Marleen beobachtete ihre Tochter. Wie eine Marionette, dachte sie, die Knie zusammengedrückt, die Hände auf dem Schoß gefaltet. Ein schönes Mädchen, eine Tochter, auf die man stolz sein könnte: ein feingeschnittenes Gesicht, lange blonde Haare. Und Augen, die so dunkel, furchteinflößend und leer waren wie das All.
Sybillia spielte nicht, sie las keine Bücher, sie sah sich kein Holo an – geschweige, daß sie aktiv daran teilgenommen hätte –, sie war einfach nur da. Ludwig hatte gesagt, daß die Injektionen helfen würden, aber davon hatte Marleen noch nichts gemerkt. Als Sybillia anderthalb Jahre alt gewesen war, hatten sie sich eingestehen müssen, daß irgend etwas mit ihr nicht in Ordnung war. Das Psychoprofil hatte introvertierten Geist angezeigt. Sie entwickelte selten Eigeninitiative, und was sich in ihren Gedanken abspielte, war …
Ja, dachte Marleen, gesteh es dir nur ein! Furchteinflößend ist es. Weil es unbegreiflich ist. Anfangs hatte Sybillia manchmal Dinge gesagt, die Marleen nicht verstanden hatte, denn Sybillia hätte von solchen Dingen eigentlich nichts wissen dürfen … oder wissen können. Vielleicht hatte Marleen damals etwas übertrieben reagiert. Jedenfalls hatte Sybillia sich danach verschlossen, und nach einer Weile hatte auch Marleen jeglichen Versuch aufgegeben, das Kind zu erreichen. In der ersten Zeit hatte sie gehofft, daß die Injektionen helfen würden. Ludwig hatte Sybillia jeden Monat
Weitere Kostenlose Bücher