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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Aber gut und böse sind nur Worte, die ihre Bedeutung je nach den Bedürfnissen der Menschen wechseln.‹
    So weit konnte Frankenstein natürlich noch nicht sein – doch klar definierte er auf seiner Suche nach einem Ausweg bereits die ›Öffentliche Meinung‹ als die Verhaltensweisen der Mitglieder dieses Kollektivs, die man öffentlich äußern oder einnehmen muß, wenn man sich nicht isolieren will, ein Gedanke, den gut anderthalb Jahrhunderte später eine Frau Noelle-Neumann aufgriff und – selbstverständlich ohne den Namen Dr. Viktor Frankenstein auch nur zu erwähnen! – unter dem Titel ›Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut‹« – D’Ummél tippte die entsprechenden Daten ein – »München/Zürich 1980 gründlich versilberte.
    Für Frankenstein, weit entfernt davon, Mammon aus seinen Erkenntnissen schlagen zu wollen, bedeutete dieses Neue Wissen einen Durchbruch: Auf dieser Grundlage ließ sich nämlich die ›Öffentliche Meinung‹ plötzlich tadellos empirisch erfassen und messen! Er mußte nur davon ausgehen, daß jedermann innerhalb einer/der Gemeinschaft von Isolierungsfrucht betroffen ist, daß jedermann ›Meinungen‹ hat, zu denen er sich gegenüber seiner sozialen Umwelt, der ›Öffentlichkeit‹, bekennen muß.
    Der Kommunikationswissenschaftler in Frankenstein dürfte dem Naturwissenschaftler aufmunternd zugeblinzelt haben, als dieses Ergebnis feststand: bedeutet doch das Erkennen eines Problems schon die halbe Lösung!
    Die nun so unerwartet leicht apostrophierbaren Verhaltensreaktionen konnte man nicht bloß beobachten, sondern sogar abfragen! Frankenstein machte sich rasch ans praktische Werk, brannte darauf, die frisch gewonnenen theoretischen Lehren in der Praxis zu erproben – und das hieß für ihn zu erforschen, wie, unter welchen Umständen, in welchem Umfang und mit welchen Folgeerscheinungen sich seine Umwelt mit einer seinerseitigen Fortsetzung seiner chemisch-biologisch-physikalischen Arbeiten abfinden könnte. Denn das …« – D’Ummél hob bedeutungsvoll die Stimme – »müssen wir uns immer vor Augen halten! So bedeutend die kommunikationswissenschaftlichen Erkenntnisse Frankensteins auch sein mögen – für ihn selbst waren sie nur notwendiges Mittel, zeitraubender Umweg gar, um seine eigentliche Sendung wiederaufnehmen zu können!
    Unter diesem Gesichtspunkt müssen wir daher auch die Tatsache sehen, daß Frankenstein unvermittelt an die Grenzen seiner Theorien stieß. Er sollte, wir werden es später sehen, noch einmal an diese Grenze stoßen – und dann erst die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Diesmal, zu diesem Zeitpunkt in seiner Entwicklung, an dem wir uns gerade befinden, schlug er einen für sich bedauerlichen, für die Nachwelt, die kommunikationswissenschaftlichen Epigonen, desto erfreulicheren Irrweg ein; denn obschon es für ihn persönlich ein Irrweg war – der epochalen Bedeutung seiner Untersuchungen tut dies keinen wie immer gearteten Abbruch. So launisch-witzig ist die Wissenschaft mitunter – nehmen wir es mit einem lachenden und einem weinenden Auge zur Kenntnis.«
    D’Ummél machte eine kurze Pause, in der er das bisher auf seiner Elektronikwand sichtbar Gewesene löschte. Auch wollte er das zuletzt Gesagte auf seine Hörerinnen wirken lassen, lag doch der Hauch von altertümlicher Emotion darin – seine Studenten – alle Studenten! – liebten das, das wußte er, nahmen gerne die romantisch umwölkten Geheimnisse vergangener Epochen mit lachenden und weinenden Augen zur Kenntnis.
    »Seine sozialpsychologische Begriffsinterpretation«, fuhr D’Ummél fort, »ließ nämlich
    a) gesellschaftlich bedeutsame Inhalte nicht von gesellschaftlich bedeutungslosen unterscheiden, und berücksichtigte
    b) den gesellschaftlichen Prozeß der Meinungsbildung nur unzureichend!
    Punkt a) ließ den Baron, wollen wir ihn unter Vorgriff auf sein Erbe gleich so nennen, naturgemäß und gleichsam Kraft seiner Geburt völlig kalt, zurecht ließ er diese Problematik rechts liegen und wandte sich entschlossen Punkt b) zu, indem er sofort von verschiedenen Meinungsforschungsinstituten wie Hebammen, Dienstboten, Kutschern, Wirtsleuten etc. eine ausreichend große Vielfalt von repräsentativen Meinungsäußerungen zu seiner ›Mensch-Schöpfung‹ einholen ließ.
    Diese intensiven Basisforschungen erhellten zunächst nicht, welche Meinungen aus einem Prozeß der Öffentlichen Meinungsforschung hervorgegangen waren, wie dieser

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