Wassermans Roboter
geläufig – auseinanderzusetzen.
Er mußte – mit einem Wort: – dem Problem ›Öffentliche Meinung‹ auf die Spur kommen.
Gestatten Sie mir einen Einschub: Es ist bezeichnend für die Verlogenheit der wissenschaftlichen Welt des 20. Jahrhunderts, daß sich keine – ich wiederhole: keine! –, ja, nicht eine einzige für ein größeres Publikum bestimmte wissenschaftliche Abhandlung mit dieser Seite des Genies des Dr. Viktor Frankenstein auseinandersetzte. Über seine Leistungen als Chirurg und Biologe, als Mediziner und Physiker gab es etliche Dokumentationen, sogar diverse Fassungen verschiedener Denkschulen sogar für Film und später Fernsehen. Die kommunikationswissenschaftliche Fachwelt aber negierte ihren Urvater – wir werden sehen! – sogar in einschlägigen Arbeiten, die ganz klar auf ihm aufbauen. Es war ein zutiefst unehrliches, heuchlerisches Jahrhundert, das wir hinter uns gelassen haben!«
Die Studenten, vor allem höhere Semester mit mehr Lehrveranstaltungen hinter sich, nickten bestätigend: Zeiten mußten das gewesen sein!
»Was«, fuhr Dr. II. Gr. R. D’Ummél nach einer kurzen Sickerpause fort, »was also ist ›Öffentliche Meinung‹? – Dies war die erste, möglicherweise noch unbewußte Frage, die sich Dr. Viktor Frankenstein stellen mußte, um nach ihrer Beantwortung das Phänomen zu enträtseln, daß durch die Mißgunst seiner Zeitgenossen seine außergewöhnliche Leistung abgewürgt werden konnte.
Was also ist die ›Öffentliche Meinung‹? – Für Frankenstein war es zunächst einmal noch vor der theoretischen Erörterung aus der Praxis heraus klar, daß es diese ›Öffentliche Meinung‹ real gibt. Später sollte dies selbstverständlich werden, wie daß die Erde rund ist und daß die Sterne nicht an Schnüren hängen, vergessen wir nicht die Zeiten, in denen unser Subjekt wirkte! Das prinzipielle Anerkennen des Vorhandenseins dieser merkwürdigen Erscheinung war für ihn als exaktem Wissenschaftler die Voraussetzung, überhaupt mit seinen Forschungen fortzufahren. Auch hier war er – verzeihen Sie den Einschub – seiner Zeit um Jahrhunderte voraus! Denken Sie an das Ihnen aus der Vorlesungsreihe ›Der Idiotismus in der Politik‹ bekannte Star-Wars-Projekt der USA der 80er Jahre: Trotz prinzipiell anerkannten Vorhandenseins von keinerlei Erfolgsaussichten wurden $-Milliarden um $-Milliarden in das aussichtslose Projekt gepumpt … doch zurück.
Frankenstein war schmerzlich klar geworden – immerhin wurde seine ›1. Schöpfung‹ von der aufgebrachten Volksseele etliche Male an Leib und Gesundheit bedroht, ja, beinahe hätte man auch vor seinem baronalen Leib nicht halt gemacht –, daß neben der Existenz auch die gesellschaftliche Wirksamkeit dieser Erscheinung – ›Öffentliche Meinung‹ nämlich – kaum bezweifelt werden konnte. Konkret: Im Zusammenhang mit seinen lebensschöpferischen Experimenten und der katastrophalen Aufnahme derselben durch die Öffentlichkeit fragte er sich zuerst, welche ›Bereiche‹ im engsten Wortsinn der Bildung der ›Öffentlichen Meinung‹ denn zuzurechnen seien. Er mußte der Frage nachgehen, wie diese Meinungen zustandekämen – gerade er wußte ja, daß objektives Wissen nicht der Grund für diese Meinungsbildung sein konnte: Auf der ganzen Welt gab es vielleicht zwei, drei Wissenschaftler, die sich auf Grund ›objektiven Wissens‹ über seine Arbeit ein Urteil hätten erlauben dürfen.
Damit erhob sich für ihn, wieder im Lichte einschlägiger Erfahrungen, die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion der ›Öffentlichen Meinung‹, vor allem aber fand er sich auf seiner Suche nach Antworten, nach Rezepten für die Durchsetzung seiner wichtigen Arbeiten am menschlichen Leben, immer wieder konfrontiert mit der Schwierigkeit, einmal aufgetauchte Meinungen empirisch zu untersuchen. Noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, und da sehen Sie, wie weit vorgedacht Frankenstein hat, sah sich auch Peter Hunziker, Professor in der Fachgruppe Soziologie der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Konstanz mit diesen Fragen konfrontiert; Sie können sich das in der Bibliothek unter ›Öffentliche Meinung als wissenschaftlicher Begriff‹, Korreferat zu Elisabeth Noelle-Neuman, Zürich 7. und 8. Mai 1981, ausheben.«
D’Ummél wartete einige Augenblicke, seine Hörer, traditionell hungrig nach jedem Happen wahren Wissens, notierten eifrig Autor und Titel des genannten Werkes. »Dr. Viktor Frankenstein war«,
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