Wassermelone: Roman (German Edition)
er. Offenbar fiel es ihm wieder ein. »Ich wollte mich erkundigen, wie es dir geht. Gestern abend war ich wohl möglicherweise ein bisschen … nun … schroff zu dir. Inzwischen ist mir klar, dass du gar nicht gemerkt hast, wie egoistisch und gedankenlos du warst. Vielleicht ist es für dich ziemlich überraschend gekommen, dass ich dir die Augen geöffnet habe.«
»Ein bisschen schon«, gab ich zu. Aufs Neue überwältigte mich Verwirrung. Allmählich kam ich mir vor wie ein Tatverdächtiger, den zwei Polizisten verhören, ein freundlicher und ein unsympathischer. Immer wenn ich mich daran gewöhnt hatte, dass sich einer von ihnen widerlich aufführte, verhielt sich der andere besonders freundlich, sodass ich das Bedürfnis hatte, ihm weinend um den Hals zu fallen. In Wirklichkeit war da zwar nur James, aber die Wirkung war die gleiche. Jetzt, da er freundlich zu mir war, wäre ich ihm am liebsten – richtig geraten! – weinend um den Hals gefallen.
»Du hast dich nicht absichtlich so aufgeführt«, fuhr er fort. »Es war dir einfach nicht bewusst.«
»Nein, war es nicht«, schniefte ich.
Ich war so froh, dass er endlich freundlich zu mir war. Ich hätte vor Erleichterung heulen können.
»Du musst dir eben ein bisschen mehr Mühe geben«, sagte er mit leisem Lachen. »Stimmt’s?«
»Äh, ja, ich glaub schon. Übrigens hab ich eine gute Nachricht«, sagte ich und kam damit zum Anlass meines Anrufs.
»Nämlich?«, fragte er. Es klang zufrieden und nachsichtig.
»Die Unterlagen sind gekommen!«, sagte ich triumphierend. »Ich habe es selbst kaum geglaubt. Bestimmt ist der irischen Post das zum ersten Mal passiert.«
»So?«, fragte er scharf.
O Gott, dachte ich. Da hab ich ihn schon wieder verärgert. Ich verstehe, was er meint. Ich tu das wohl, ohne es zu merken.
»Es ist also alles bestens …«, sagte ich schwach. »Wir brauchen keine weitere Zeit zu vergeuden und können uns sofort daran machen, die Angelegenheit zu regeln.«
»Oh.« Er wirkte ein wenig benommen. Ein wenig dümmlich.
»Oh«, sagte er noch einmal. »Schön.«
»Komm doch zu uns«, schlug ich vor. »Ich verspreche dir, dass es kein siedendes Öl gibt.« Ich zwang mir ein munteres Lachen ab, als wäre die Idee albern, einer aus meiner Familie oder ich könnte ihm Schaden zufügen.
»Gut«, sagte er knapp. »Ich bin in einer Stunde da.« Dann legte er auf. Einfach so.
Ein kurzer Gedanke schoss mir durch den Kopf. War er womöglich schizophren?
Oder gab es in seiner Familie Fälle von Geisteskrankheit?
Es fiel mir ungeheuer schwer, mit all diesen Stimmungsumschwüngen fertigzuwerden. Irgendetwas musste der Grund dafür sein.
Vielleicht würde ich es merken, wenn er kam. Bis dahin wollte ich rasch einen heimlichen Blick in die Papiere werfen, um zu sehen, ob ich überhaupt irgendwelche Ansprüche hatte.
Genau eine Stunde später klingelte es an der Tür. Es war James. Er begrüßte mich mit der Andeutung eines Lächelns und fragte nach Kates Wohlergehen.
»Warum fragst du sie nicht selbst?«
»Oh, äh, ja«, sagte er. Wir gingen ins Esszimmer, wo Kate in ihrer Trageschale lag. Zögernd kitzelte James sie. Ich ging in die Küche, um Kaffee zu machen.
Dann kehrte ich zurück und sagte munter und mit einem Lächeln: »Dann also ans Werk.«
Ich wies auf die Unterlagen, die auf dem Tisch ausgebreitet waren, und wir setzten uns.
»Ich dachte, wir fangen am besten mit den Eigentumspapieren für die Wohnung an«, sagte ich.
»In Ordnung«, sagte er schwach.
»Sieh mal, diese Klausel hier«, sagte ich und wies auf eine Bestimmung hin, die sich auf den Verkauf der Wohnung vor Tilgung der Hypothek bezog. »Da ist doch …«
Ich verstieg mich zu Erklärungen und Vorschlägen, die ich mit verschiedenen juristischen Ausdrücken würzte. Ich war stolz auf mich. Es klang, als wüsste ich genau, wovon ich sprach. Insgeheim hoffte ich ihn damit zu beeindrucken. Obwohl wir uns getrennt hatten, war es mir wichtig, dass er in mir eine tüchtige Frau sah und nicht ein verzogenes, zickiges Dummchen.
Nach einer Weile merkte ich, dass er mir überhaupt nicht zuhörte. Er lehnte sich einfach auf seinem Stuhl zurück und sah auf mein Gesicht statt auf das Dokument, das ich ihm mit so großer Mühe erklärte.
Ich hielt mitten in der Verzichtsklausel inne, mit der ich mich gerade beschäftigte, und fragte: »James, fehlt dir was? Warum hörst du nicht zu?«
Er fuhr mir liebevoll durchs Haar – was mich ziemlich überraschte, kann ich Ihnen sagen
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