Wassermelone: Roman (German Edition)
wohnte, gab es mir einen Stich. Alles war so schmerzlich vertraut: der Zeitungsstand, der Waschsalon, der Schnapsladen, der Inder, wo wir oft unser Essen geholt hatten.
Einerseits kam es mir vor, als läge es Lichtjahre zurück, dass ich dort gewohnt hatte, dann wieder hatte ich das Gefühl, nie fort gewesen zu sein. Während ich mit pochendem Herzen unserer Wohnung zustrebte, merkte ich, dass meine Knie merkwürdig zitterten.
Das überraschte und erschreckte mich ein wenig. Ich hatte nicht erwartet, dass mich die Rückkehr in die vertraute Umgebung so mitnehmen würde. Als ich um die Ecke bog und unsere Fenster sah, traten mir Schweißperlen auf die Stirn. Ich verlangsamte meinen Schritt.
Jetzt, da ich angekommen war, wusste ich nicht so recht, was ich tun sollte.
Wäre ich doch nicht hier! Hätte ich doch nicht herkommen müssen! Muss ich mich dieser Auseinandersetzung stellen?, fragte ich mich aufgebracht. Vielleicht habe ich ja unrecht, und James liebt mich, wie ich bin. Vielleicht sollte ich einfach umkehren, zurückfliegen und so tun, als wäre alles in Ordnung.
Ich stand an der Haustür des Wohnblocks und drückte mein brennendes Gesicht gegen die kühle Scheibe. Meine Wut war abgeflaut. Ich war überhaupt nicht mehr zornig, aber ich hatte Angst, und ich war unbeschreiblich traurig.
Ein Taxi bog um die Ecke. Es war frei. Ein Hoffnungsschimmer durchzuckte mich. Ich könnte es anhalten und einfach verschwinden, dachte ich. Ich muss das nicht bis zum bitteren Ende führen .
Vor der Tür des Blumenhändlers stand ein Körbchen mit Rosen. Apropos ›Körbchen‹. Ich musste unbedingt ein paar von meinen BHs mitnehmen. Jetzt, da mein Busen – leider – wieder so war wie früher, waren mir alle BHs, die ich in Irland hatte, zu groß.
Diese momentane Unaufmerksamkeit erwies sich als schicksalhaft: Das Taxi fuhr vorüber. Es sah ganz so aus, als würde ich nicht fortgehen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Ich würde mich James stellen und herausfinden, was los war.
Denk dran, warum du hier bist – oh, das weiß ich durchaus noch: weil mich James belogen hatte. Und zwar über das, was unsere Beziehung ausmachte, seine Empfindungen mir gegenüber.
Erneut spürte ich Wut in mir aufsteigen. Gut. Die Sache war nicht ganz so alptraumhaft, wenn ich wütend war. Unsicher holte ich tief Luft.
Sollte ich klingeln und damit James von meinem Kommen in Kenntnis setzen? Oder sollte ich einfach hineinmarschieren, als wenn mir die Wohnung gehörte? Dabei wusste doch jeder, dass sie mir nur zur Hälfte gehörte. Dann aber dachte ich, der Teufel soll es holen, es ist meine Wohnung. Ich schließ selbst auf, verdammt noch mal .
Meine Hand zitterte, während ich in meiner Handtasche nach dem Schlüsselbund kramte. Es dauerte ewig, bis der Schlüssel im Schloss war.
Der vertraute und alte Erinnerungen wachrufende Geruch des Treppenhauses traf mich mit voller Wucht in der Magengrube. Es roch wie zu Hause. Ich gab mir große Mühe, nicht darauf zu achten – für Gefühlsduselei war das nicht der richtige Zeitpunkt.
Der Aufzug brachte mich in den zweiten Stock. Zögernd ging ich über den Flur zur Wohnungstür. Als ich hörte, dass der Fernseher lief, sank mein Herz noch tiefer. Also war James zu Hause. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ich schloss auf und trat, um Lässigkeit bemüht, ins Wohnzimmer. Bei meinem Anblick hätte James fast einen Herzschlag bekommen.
Perverserweise hätte es mich befriedigt, wenn ich ihn bei irgend etwas Abartigem erwischt hätte. Vielleicht bei sadomasochistischen Spielchen mit einer Vierzehnjährigen, oder besser noch, einem Vierzehnjährigen. Oder, noch besser, einem vierzehnjährigen Schaf. Oder am besten dabei, wie er sich im Fernsehen eine drittklassige Gameshow ansah (was nun wirklich abscheulich und unverzeihlich wäre).
Dann hätte ich ihm nicht gegenüberzutreten brauchen, sondern einfach davongehen können, im Bewusstsein, dass er ein absoluter Widerling war. Ohne jeden Zweifel. Alles passte ins Bild.
Aber der widerspenstige Mistkerl blickte so unschuldig und zurechnungsfähig drein, als hätte er es den ganzen Tag geübt. Er las Zeitung, während im Hintergrund Das Haus am Eaton Place lief. Sogar das Glas neben ihm enthielt Cola und nicht etwa Alkohol. Alles ganz einwandfrei.
»Cl … Claire, was tust du hier?«, keuchte er und sprang vom Sofa auf. Er machte ein Gesicht, als hätte er ein Gespenst gesehen.
Es muss aber auch ein schlimmer Schock für ihn gewesen sein. Seines Wissens
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