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Wassermelone: Roman (German Edition)

Wassermelone: Roman (German Edition)

Titel: Wassermelone: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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angenehm riechen, und außerdem Unmengen zu essen, viel Schlaf und viele Menschen, die einen liebhaben.
    In dieser Welt musste niemand vor dem Klo Schlange stehen.
    Ich ging mit der Flasche Wein nach unten in die Küche und öffnete sie müde. Ich wusste, dass es mir bessergehen würde, sobald ich einen Schluck getrunken hatte. Gerade als ich mir ein Glas eingoss, erschien Anna in der Küchentür und rieb sich verwirrt und besorgt die Augen. Das lange schwarze Haar hing ihr um ihr weißes Gesicht.
    »Ach, Claire, bist du das tatsächlich? Ich habs mir also nicht eingebildet«, sagte sie, halb erleichtert, halb enttäuscht. »Ich dachte schon, das wäre das Delirium. Dann hab ich mir überlegt, dass du eine Erscheinung sein könntest. Doch in dem Fall wärst du wohl in was Geschmackvollerem als Mums grauenvollem Nachthemd aufgekreuzt.«
    »Ja, ich bin’s wirklich«, ich lächelte ihr zu. »Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Aber ich brauchte unbedingt was zu trinken.« Ich ging zu ihr und umarmte sie. Es war wirklich schön, sie zu sehen.
    Anna ähnelte Helen sehr: kleines weißes Gesicht, schrägstehende Katzenaugen, Stupsnäschen. Damit aber endete die Ähnlichkeit. Erstens hatte ich nie das Bedürfnis verspürt, Anna etwa zwanzigmal am Tag umzubringen. Sie war zu allen Menschen äußerst freundlich, sehr viel ruhiger als ihre Schwester und weit angenehmer im Umgang. Allerdings war sie unglücklicherweise sehr geistesabwesend und ätherisch. Mehr als einmal hatte ich ihren Namen in Sätzen gehört, in denen die Wendung »jetzt spinnt sie wieder« vorkam.
    Vielleicht ist es besser, wenn ich ohne Umschweife die Wahrheit sage. Es lässt sich nicht leugnen, dass Anna eine Art … nun ja, … eine Art Hippie war.
    Sie hatte nie eine richtige Arbeit und schien beständig auf Rock-Konzerten zu sein. Ich konnte von London aus anrufen, wann ich wollte, wann immer ich nach Anna fragte, sagte Mum entweder: »Ach, Anna ist in Glastonbury« oder »Anna ist in Lisdoonvarna« oder »Anna hat ’ne Stelle in einer Bar in Santorini.«
    Es gab auch – zugegebenermaßen schlimme – Tage, an denen Mum sagte: »Woher zum Teufel soll ich wissen, wo Anna ist? Ich bin schließlich bloß ihre blöde Mutter.«
    Ab und zu hatte sie Arbeit. Gewöhnlich in vegetarischen Restaurants. Sie schien es aber nie lange auszuhalten, und aus irgendeinem sonderbaren Grund waren auch die Restaurants nie lange da. Sie lebte vom Arbeitslosengeld.
    Ich habe schon erwähnt, dass sie mit Drogen gedealt hat. Aber nur kurz und auf die denkbar netteste Weise. Ehrlich. Nie hat sie vor Schulhöfen herumgehangen, um zu versuchen, Achtjährigen hochgradig reines Heroin anzudrehen.
    Sie hat lediglich hier und da ein bisschen Haschisch an Freunde und Verwandte verkauft. Und dabei bestimmt Verlust gemacht.
    Sie machte Schmuck und verkaufte von Zeit zu Zeit sogar etwas. Es war eine unsichere Existenz, was ihr aber nicht viel auszumachen schien.
    Mein Vater hatte sie aufgegeben. Er nannte sie verantwortungslos. Natürlich wurde die Schuld für ihre Flatterhaftigkeit mir in die Schuhe geschoben. Dad hatte gesagt, ich hätte mich zu einer Zeit nach London »abgesetzt«, als sie leicht zu beeindrucken war, und ihr damit vorgemacht, dass es völlig in Ordnung sei, eine gute Arbeitsstelle aufzugeben, um als Kellnerin zu arbeiten. Was für eine ArtVorbild das sei, hatte er von mir wissen wollen.
    In seinem verzweifelten Versuch, aus Anna eine verantwortliche Steuerzahlerin zu machen, hatte er ihr eine Büroarbeit in einem Bauunternehmen verschafft. Offensichtlich schuldete ihm jemand einen Gefallen. Es muss ein ziemlich großer Gefallen gewesen sein.
    Der Versuch, Anna zur Arbeit in einem Büro zu zwingen, war ein Fehler. Es war so, als wollte man einen runden Pflock in ein viereckiges Loch zwängen oder einen Schuh am falschen Fuß tragen. Es war unangenehm und musste nahezu mit Sicherheit scheitern. Es war eine Katastrophe.
    Anna war wie eine an das tropische Klima gewöhnte exotische Blume, die man von heute auf morgen in ein feuchtes, kaltes Land verpflanzt. Wie hätte sie da überleben können? Sie konnte nur dahinwelken, ihre wunderschönen leuchtenden Blütenblätter verdorrten und wurden braun, ihr zarter Duft war dahin.
    Ihre Begabung lag nicht auf dem Gebiet der Büroarbeit. Sie war zu schöpferisch und voller Vorstellungskraft, als dass sie sich mit etwas so Langweiligem wie der Ablage hätte beschäftigen können. Außerdem war sie zu high.
    Eines

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