Wassermelone: Roman (German Edition)
ihnen was zu trinken an – und was kriegen sie? Verdünntes Zeug! Ich könnte vor Scham im Boden versinken. Wie konntest du nur? Dabei hattest du versprochen, nicht zu trinken, bis du achtzehn wirst.«
Schmollend und mürrisch schwieg ich und ließ den Kopf hängen, um zu verbergen, wie sehr ich mich schämte und ärgerte, dass man mir auf die Schliche gekommen war.
Mein Vater war traurig und sagte nichts. Bei einer Aufräumaktion wurden alle Getränke ohne vorherige Verhandlung in einen abschließbaren Schrank gesperrt. Nur meine Mutter wusste, wo der Schlüssel war, und hätte, wie sie selbst sagte, lieber die Qualen der Verdammten erlitten, als das Versteck preiszugeben. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis eine ihrer Töchter herausbekam, wie man das Schloss auch ohne Schlüssel öffnen konnte.
Darauf folgte eine Art Guerillakrieg, in dessen Verlauf meine Mutter ständig nach neuen Verstecken für die rasch dahinschwindenden Alkoholvorräte suchte. Helen schwört, sie hätte gehört, wie Mum am Telefon Tante Julia, die Alkoholikerin ist, nach geeigneten Stellen gefragt hat. Aber das ist ein unbestätigtes Gerücht, und ich würde es nicht unbedingt für bare Münze nehmen.
Aber Mum war uns immer nur einen winzigen Schritt voraus. Kaum hatte sie ein neues Versteck gefunden, da hatte es eine von uns schon entdeckt. Ähnlich, wie man immer wieder andere Antibiotika erfinden muss, um neu aufgetretene Bakterienstämme zu bekämpfen und solche, die inzwischen gegen die bisherigen Mittel immun sind, musste sich meine Mutter stets neue Verstecke ausdenken. Zu ihrem Unglück blieben sie nie lange neu.
Sie versuchte sogar, uns ins Gewissen zu reden. »Bitte trinkt nicht so viel, oder wenigstens nicht so viel von dem, was eurem Vater und mir gehört.«
Gewöhnlich bekam sie die, ich muss sagen, eher sorgenvolle als zornige Antwort: »Aber Mum, wir trinken gern. Wir sind arm. Wir haben keine Wahl. Glaubst du, wir gehen gern wie gemeine Diebe vor?«
Auch als Margaret, Rachel und ich aus dem Haus waren und wir uns unsere schlechten Gewohnheiten leisten konnten, ging der Kampf weiter, denn Helen und Anna lebten nach wie vor dort und waren ziemlich knapp bei Kasse.
Der einst stolze und edle Bestand alkoholischer Getränke aller Art war nunmehr auf einige wenige schäbige halbleere Flaschen zusammengeschrumpft, die wie Nomaden durchs Haus zogen und in Schränken, Kohleneimern und unter Betten ihre Zuflucht fanden. Längst dahin die vollen, leuchtenden Flaschen mit erkennbaren Etiketten. Nichts ist von ihnen geblieben als eine klebrige, mit Staub bedeckte Flasche Drambuie, eine andere, in der kubanischer Wodka einen Zentimeter hoch steht (ehrlich, so etwas gibt es. Offenbar genau das richtige Getränk für linientreue Genossen Fidel Castros), und die nahezu volle Flasche Bananenschnaps, von dem Helen wie Anna erklärt haben, dass sie eher verdursten als davon trinken würden.
Ich blieb auf dem kalten Fußboden in der dunklen Diele sitzen. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass ich etwas zu trinken brauchte. Ich hätte sogar den Bananenschnaps getrunken, wenn ich gewusst hätte, wo er war. Ich fühlte mich so entsetzlich einsam . Ich spielte mit dem Gedanken, Mum zu wecken und sie zu bitten, mir den Schnaps zu geben, aber bei der Vorstellung bekam ich ein wirklich schlechtes Gewissen. Die arme Frau machte sich solche Sorgen um mich, und wenn es ihr gelungen war einzuschlafen, durfte ich sie wirklich nicht wecken.
Vielleicht konnte mir Helen helfen. Müde stieg ich die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf, doch als ich mich hineingeschlichen hatte, fand ich ihr Bett leer. Entweder hatte sie die Nacht bei Linda verbracht, oder irgendein junger Mann hatte einen Volltreffer gelandet. In letzterem Fall würde man ihn wohl irgendwo tot finden, mit einem Abschiedsbrief neben sich, auf dem etwa Folgendes stand: »Ich habe alles erreicht, was ich mir im Leben je erträumt habe. Ich werde nie wieder so glücklich sein. In diesem Zustand der Glückseligkeit möchte ich sterben. PS: Sie ist eine Göttin.«
Als hätte ich mich nicht schon schlimm genug gefühlt, packte mich mit einem Mal die panische Angst, Kate könnte etwas Entsetzliches zugestoßen sein. Der plötzliche Kindstod zum Beispiel. Sie konnte auch an Erbrochenem erstickt sein. Was auch immer.
Ich stürmte wieder in mein Zimmer und stellte erleichtert fest, dass sie noch atmete. Sie lag einfach da, ein wohlriechendes, zerknittertes rosa Bündel mit fest geschlossenen
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