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Wassermelone: Roman (German Edition)

Wassermelone: Roman (German Edition)

Titel: Wassermelone: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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Montagmorgens hatte ihr Mr. Sheridan, der Chef, einen Scheck auf den Tisch geknallt und gesagt: »Schicken Sie den mit einem freundlichen Begleittext an Bill Prescot.«
    Glücklicherweise hatte er den von Anna verfassten Brief abgefangen. Darin stand: »Lieber Mr. Prescot, obwohl ich Ihnen nie begegnet bin, glaube ich, dass Sie sehr umgänglich sind. Alle Bauarbeiter loben Sie in den höchsten Tönen.«
    Matt erklärte Mr. Sheridan, dass sie in einem Begleitbrief, auch wenn er freundlich gemeint war, nicht einfach schreiben konnte, was ihr privat in den Sinn kam.
    Während der Mittagspause vergaß sie die Zeit, weil sie am Kanal in der Nähe des Büros ein Schwanennest entdeckt hatte und den Vögeln stundenlang beim Brüten zusah. (Außerdem rollte sie sich mehrere Joints und rauchte sie, wenn man Gerüchten glauben darf.) Aber als sie eines Tages beschloss, die Personalakten der Bauarbeiter nicht mehr alphabetisch zu ordnen, sondern nach ihrem Tierkreiszeichen, hatte der Bürovorsteher, Mr. Ballard, endgültig genug. Anna musste gehen, ganz gleich, ob der Geschäftsführer Jack Walsh einen Gefallen schuldete oder nicht.
    Trotz ihres Einwandes, es habe sich lediglich um einen Scherz gehandelt (sie hatte lachend gesagt, womit sie die Dinge höchstwahrscheinlich nur noch verschlimmerte: »Mal ehrlich, wie könnten wir die Akten nach den Tierkreiszeichen sortieren, wenn wir nicht mal die Aszendenten der Leute kennen?«), bekam sie ihre Papiere. Wieder einmal war sie ohne Einkommen.
    Mein Vater war wütend und wäre vor Scham am liebsten gestorben. »Was geht bloß in diesem dämlichen Kopf vor?«, hatte er gebrüllt. »Ich würde fast schwören, dass sie Drogen nimmt.« Ehrlich gesagt war er für einen intelligenten Mann bisweilen von beunruhigender Begriffsstutzigkeit.
    Ihre einzige andere Berührung mit einer einträglichen Tätigkeit hatte Anna als Schulmädchen gehabt, als die Beratungslehrerin für Berufskunde sie fragte, was sie später machen wollte. Anna erklärte ihr, sie wollte eins mit den Elementen sein, und konnte nicht verstehen, warum man sie zu einem zweiwöchigen Praktikum in eine Firma schickte, die Heizelemente für elektrische Wasserkocher herstellte.
    Nachdem Anna begriffen hatte, dass ich keine übersinnliche Erscheinung war, beschloss sie trotz ihrer Enttäuschung, das Beste aus der Situation zu machen.
    »Gieß mir auch ein Glas ein«, sagte sie und wies auf die Weinflasche. Das tat ich, und wir setzten uns beide an den Küchentisch.
    Es war gegen fünf Uhr morgens. Die späte, oder besser gesagt frühe, Stunde schien sie nicht im Geringsten zu stören.
    »Prost«, sagte sie und erhob ihr Glas.
    »Ja, prost«, gab ich mit Grabesstimme zurück. Ich leerte das Glas in einem Zug. Anna sah mich bewundernd an.
    »Und was tust du hier?«,fragte sie im Plauderton. »Ich wusste gar nicht, dass du kommst. Niemand hat mir gesagt … Ich glaube jedenfalls, dass es mir niemand gesagt hat«, sagte sie zweifelnd. »Ich war fast ’ne ganze Woche nicht zu Hause.«
    »Nun ja, es ist ein bisschen plötzlich gekommen«, sagte ich und seufzte, während ich mich auf eine lange und gewundene Erklärung der tragischen Umstände vorbereitete. Doch bevor ich zu Wort kam, unterbrach sie mich abrupt.
    »Ach, mein Gott«, sagte sie mit einem Mal und schlug sich die Hand vor den Mund.
    »Was?«, fragte ich beunruhigt. Schwebte der Korkenzieher in der Luft, hatte sich das gespenstische Gesicht einer Totenfee am Fenster gezeigt?
    »Du bist ja gar nicht mehr schwanger!«, rief sie aus. Wider Willen musste ich lächeln.
    »Stimmt, Anna. Kannst du dir vorstellen, warum?«
    »Hast du das Kind bekommen?«, fragte sie gedehnt.
    »Ja«, bestätigte ich, nach wie vor lächelnd.
    »Grundgütiger!«, kreischte sie. »Ist das nicht fantastisch!« Sie schlang ihre Arme um mich. »Ist es ein Mädchen?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Ist sie hier? Kann ich sie sehen?«, fragte sie ganz aufgeregt.
    »Ja, in meinem Zimmer. Aber sie schläft. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich sie jetzt lieber nicht wecken. Jedenfalls nicht, bevor ich diese Flasche Wein ausgetrunken habe«, sagte ich missmutig.
    »Kann ich verstehen«, sagte Anna und schenkte mir ein weiteres Glas ein – von einer Alkoholliebhaberin zur anderen.
    »Runter damit. Vermutlich hast du lange nichts trinken dürfen. Kein Wunder, dass du dich jetzt ranhältst.«
    »Stimmt, ich habe lange nichts trinken können. Aber nicht deshalb will ich mir einen Rausch antrinken«, sagte

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