Wassermelone: Roman (German Edition)
einem Märchen eine weise alte Frau sagt: »Es ist schon manch langes und glückloses Jahr her, dass ein hochgewachsener, starker, junger Mann aus dem Clan der McQuilty unter demselben Dach das Brot gebrochen hat wie ein junger Mann aus dem Clan der McBrandawn und dass wir nicht das Klirren von Stahl gehört haben und das Blut tapferer junger Krieger nicht durch die Straßen lief.«
Mir lag auf der Zunge zu sagen, dass in ihrer Küche noch nie eine richtige Mahlzeit gekocht worden war, zumindest nicht, solange sich unser Haus im Besitz der Familie Walsh befand und meine Mutter das Ruder in der Hand hatte, aber ich verkniff es mir rechtzeitig.
»Ich mach nichts Besonderes, Mum«, sagte ich. »Einfach Spaghetti oder so.«
»Spaghetti«, sagte sie atemlos, nach wie vor den abwesenden Blick in den Augen, als erinnere sie sich an ein früheres Leben, eine frühere Zeit, eine frühere Welt. »Ja«, nickte sie, während sie langsam begriff. »Ja, Spaghetti kenne ich von früher.« (Sie sagte das mit einer Stimme, als hätte sie eigentlich sagen wollen: »Ich kenne Spaghetti aus grauen Vorzeiten.«)
Großer Gott, dachte ich beunruhigt. Haben ihre Erlebnisse in der Küche sie in der Vergangenheit so sehr erschüttert, dass dieser Vorschlag sie aus dem Gleichgewicht bringt?
»Darf ich mit deinem Auto zum Einkaufszentrum fahren, um Verschiedenes zu besorgen?«, fragte ich sie. Ich war ein wenig nervös.
»Wenn es sein muss«, sagte sie schwach und resigniert. »Wenn es sein muss.«
»Und kannst du mir auch etwas Geld leihen? Ich hab nur englisches«, sagte ich.
»Die nehmen da auch Kreditkarten«, gab sie rasch zur Antwort. In welchem Zwischenreich auch immer sie während der letzten Minuten verweilt haben mochte, das Wort »Geld« hatte sie mit einem Schlag in die Wirklichkeit zurückgeholt.
Nicht als ob sie geizig wäre, überhaupt nicht. Doch wer jahrelang dafür sorgen musste, mit einem nicht besonders üppigen Einkommen fünf Kinder und zwei Erwachsene satt zu bekommen, lernt zwangsläufig, sein Geld zuammenzuhalten. Wer sich Sparsamkeit einmal angewöhnt hat, kommt schlecht wieder davon los. Jedenfalls wusste ich das vom Hörensagen. Eigene Erfahrung hatte ich damit nicht.
Sie gab mir die Autoschlüssel, und wir stellten Kate in ihrer Trageschale auf den Rücksitz. Mum winkte mir von der Haustür aus nach, als führe ich für immer davon, statt nur die Straße hinunter zum Supermarkt.
Es war durchaus ein Abenteuer. Ich hatte das Haus seit Wochen nicht verlassen. Ein Hinweis darauf, dass es mir besserging.
»Viel Spaß«, sagte sie. »Und denk dran, falls du es dir mit dem Abendessen anders überlegen solltest, ist das nicht weiter schlimm. Wir können es machen wie immer. Niemandem macht das was aus.«
Wieso habe ich das Gefühl, es sei ihr nicht recht, dass ich koche?, fragte ich mich, während ich davonfuhr.
Es war wirklich schön im Supermarkt, wo ich, Kate in einem Tragetuch, meinen Einkaufswagen durch die Gänge schob. Ich kaufte für sie und mich ein und spielte glückliche Familie, auch wenn es nur eine glückliche Ein-Eltern-Familie war.
Ich kaufte weitere zwanzig Tonnen Höschenwindeln für Kate. Während mich Kummer oder Alkohol aufs Lager gestreckt hatten, waren meine Eltern so lieb gewesen, alles zu besorgen, was die Kleine brauchte. Jetzt aber war es Zeit, dass ich die Verantwortung selbst übernahm. Ab sofort würde ich mich um Kate kümmern.
Ich packte allerlei exotische Luxus-Lebensmittel in meinen Wagen. Honigmelonen? Ja, zwei. Eine Schachtel frischer handgemachter Pralinen? Warum nicht. Eine Tüte viel zu teurer wunderschöner Salatköpfe? Nur zu. Ich genoss es. Geld spielte keine Rolle. Ich würde mit meiner Kreditkarte zahlen.
Und wohin wurden die Kreditkarten-Rechnungen geschickt? Richtig. An meine Londoner Wohnung. Wer also würde dafür geradestehen müssen? Wieder richtig. James.
Ich lächelte anderen jungen und nicht ganz so jungen Müttern zu, die ebenfalls ihre Einkäufe erledigten.
Ich muss wohl wie eine von ihnen ausgesehen haben. Eine junge Frau mit einem Neugeborenen, deren einzige Sorge darin bestehen könnte, dass sie in den nächsten zehn Jahren vielleicht nachts nicht durchschlafen kann. Nichts ließ vermuten, dass mich mein Mann verlassen hatte. Ich trug meine Demütigung nicht mehr wie eine Waffe mit mir herum. Ich missgönnte auch anderen nicht mehr das vollkommene Leben, das sie führen mochten. Ich hasste nicht mehr jede Frau auf der Welt, deren Mann sie nicht
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