Wassermelone: Roman (German Edition)
Orangensaft lebt. (Probieren Sie das lieber nicht zu Hause aus.)
Also ging ich in Helens Zimmer, um ihren Kleiderschrank zu plündern. Sie war mir bei Gott etwas schuldig. Sie hatte mich während der letzten vierzehn Tage mit ihren erpresserischen Forderungen für die Botengänge zum Schnapsladen ganz schön bluten lassen.
So gern ich Anna hatte, ich wollte keins ihrer langen Schlabberkleider tragen, die aus Glocken, Spiegeln und Troddeln bestanden.
In Helens Zimmer fand ich auf dem Stuhl neben einem riesigen Stapel unberührter, neuer, kostspieliger Fachbücher ein herrliches Paar Leggings. Sie waren sehr schmeichelhaft und ließen meine Beine lang und schlank erscheinen. Was heißt schmeichelhaft? Es war geradezu ein Wunder.
Sofern es zur Diskussion stand, dass der Mann, der sie entworfen hatte, heiliggesprochen werden wollte, würde ich seine Chancen als sehr günstig ansehen.
In ihrem Kleiderschrank fand ich eine wunderschöne blaue Seidenbluse. Und sollte man es für möglich halten: Sie war ebenfalls sehr schmeichelhaft, ließ meine Haut sehr klar und meine Augen sehr blau erscheinen. Ich sah mich im Spiegel und erschrak. He, die kenn ich doch, dachte ich. Das bin ich. Ich bin wieder da.
Zum ersten Mal seit Monaten sah mein Spiegelbild normal aus. Ich sah nicht mehr aus wie eine Wassermelone auf Beinen. Ich war nicht mehr von der Schwangerschaft aufgequollen und auch sonst nicht mehr dick. Ich sah auch nicht aus wie einer Irrenanstalt entsprungen, ungekämmt, verwirrt und in einem unförmigen Nachthemd. Ich war einfach so, wie ich mich in Erinnerung hatte.
Ich überschüttete mich förmlich mit Helens Obsession, obwohl ich das Parfüm hasste. Und nachdem ich mich vergewissert hatte, dass ich sonst nichts aus ihren Beständen brauchen konnte, kehrte ich in mein Zimmer zurück.
Ich machte mich sogar zurecht. Nur ein bisschen, denn ich wollte nicht, dass meine Mutter die Polizei anrief, um zu berichten, sie hätte eine fremde Frau in ihrem Haus.
Dann beugte ich mich über Kates Bettchen und stellte ihr mein neues (oder besser gesagt altes) Ich vor.
»Hallo, mein Schatz«, sagte ich liebevoll. »Sag deiner Mami guten Tag.«
Bevor ich mich bei ihr dafür entschuldigen konnte, dass ich in ihrem ersten Lebensmonat so grauenhaft ausgesehen hatte, begann sie lauthals zu weinen. Offensichtlich hatte sie keine Vorstellung, wer ich war.
Ich sah nicht annähernd so aus wie der Mensch, an den sie gewöhnt war, und ich roch auch nicht so.
Ich beruhigte sie und erklärte ihr, das sei mein richtiges Ich, und die andere Frau, die sich im vergangenen Monat um sie gekümmert hatte, habe sich lediglich als ihre Mutter ausgegeben. Sie schien diese Erklärung durchaus vernünftig zu finden.
Dann ging ich nach unten zu meiner Mutter, die vor dem Fernseher saß. Mit den Worten »Hallo, Mum« trat ich ins Wohnzimmer.
»Hallo, mein Kind«, sagte sie und hob den Blick von ihrer Illustrierten. Dann wandte sie sich so blitzschnell um, dass sie fast umgekippt wäre. »Claire!«, rief sie. »Du bist ja auf! Du bist angezogen! Du siehst wunderbar aus! Großartig!« Sie stand vom Sofa auf, kam zu mir und drückte mich fest an sich. Sie sah richtig glücklich aus.
Ich nahm sie in die Arme, und wir beiden standen mit Tränen in den Augen da und grinsten wie die Blöden.
»Ich glaube, ich komm langsam drüber weg«, sagte ich unsicher. »Zumindest hab ich das Gefühl, dass es allmählich was wird. Es tut mir leid, dass ich mich so abscheulich aufgeführt und euch solche Sorgen gemacht hab.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, sagte sie liebevoll, hielt mich immer noch bei den Armen und lächelte mich an. »Wir wissen, dass es schrecklich für dich war, und wir wollen, dass du glücklich bist.«
»Danke, Mum«, flüsterte ich.
»Und was wirst du heute tun?«, fragte sie munter.
»Mal sehen. Vielleicht setz ich mich zu dir und seh mir das da zu Ende an«, sagte ich und wies auf den Fernseher. »Danach mach ich für uns alle Abendessen.«
»Schön«, sagte meine Mutter mit Zweifel in der Stimme. »Aber wir kommen mit der Mikrowelle gut zurecht.«
»Nein, nein«, protestierte ich lachend. »Ich meine, ich möchte richtig kochen. Weißt du, im Supermarkt frische Zutaten kaufen und selbst was für uns alle daraus machen.«
»Tatsächlich?«, fragte sie, und ihr Blick wurde etwas abwesend. »Es ist lange her, dass in unserer Küche eine richtige Mahlzeit zubereitet worden ist.«
Sie sagte das etwa in der Art, wie in
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