Wassermelone: Roman (German Edition)
dass ich mich durch eine ganze Affäre mit ihm fantasiert hatte, von dem Augenblick, da ich ihm verfallen war, über den Augenblick, da er mich hatte fallenlassen, bis hin zu dem Augenblick, in dem ich wütend auf ihn war.
He, dachte ich. Da ist wieder deine verdammte sporadische Verrücktheit.
Meine Mutter riss sich einen Augenblick von dem spannenden Krimi los und fragte: »Was hast du nur? Du machst ein richtig böses Gesicht.«
»Nichts, Mum«, sagte ich. Mir schwirrte der Kopf ein wenig. »Ich denk nur nach.«
»Man kann auch zu viel nachdenken«, sagte sie.
Diesmal gab ich ihr recht.
Aber bevor sie sich über die Nachteile eines Studiums und die Gefahren ergehen konnte, die damit verbunden sind, dass man seinen Horizont erweitert, klingelte das Telefon.
»Ich geh schon ran«, rief ich und lief hinaus, wobei ich ihr mitten im Satz das Wort abschnitt.
»Wozu sind Intellektuelle gut?«, rief sie mir nach. »Ich möchte wetten, dass James Joyce keinen Stecker reparieren konnte.«
»Hallo«, sagte ich, als ich abnahm.
»Helen?«, fragte eine Männerstimme.
»Nein, Helen ist nicht da«, sagte ich. »Wir haben sie schon eine ganze Weile nicht gesehen. Wahrscheinlich hängt sie irgendwo betrunken herum.« Die Stimme lachte.
»Adam?«, sagte ich. Der Schock, den der Klang seiner Stimme auslöste, ließ für einen Moment den Boden unter meinen Füßen schwanken. Ich konnte kaum glauben, dass er den Nachmittag mit mir verbracht hatte und jetzt meine Schwester Helen anrief. War das nicht abartig? Uns gegeneinander auszuspielen? Ich hatte es doch gewusst. Er war ein Dreckskerl wie alle anderen.
»Claire«, sagte er. »Ja, ich bin’s.«
Was willst du, dachte ich kalt, ’nen Verdienstorden, weil du’s bist?
»Ja?«, sagte ich eisig. »Ich sag rasch Helen Bescheid, dass du angerufen hast.«
»Nein, Augenblick«, sagte er. »Ich wollte mit dir sprechen.«
»Merkwürdig«, fuhr ich fort, ganz Dame. »Ich heiße nämlich gar nicht Helen, sondern Claire.«
»Ich weiß«, sagte er und klang ganz vernünftig. »Ich dachte nur, dass es vielleicht einen sonderbaren Eindruck machen würde, wenn ich anrufe, um mit dir zu sprechen, und Helen wäre ans Telefon gegangen und ich hätte sie nicht mit Namen angesprochen.«
Ich schwieg.
»Ich meine«, fuhr er fort, »Helen und ich sind ebenfalls Freunde. Ohne Helen hätte ich dich nie kennengelernt.«
Ich schwieg immer noch.
»Bist du jetzt sauer?«, fragte er. »Hab ich was falsch gemacht?«
Jetzt kam ich mir blöd vor. Hysterisch und typisch Frau.
»Nein«, sagte ich sehr viel freundlicher. »Natürlich bin ich nicht sauer.«
»Ja, gut dann …«, sagte er. »Bist du sicher?«
»Bin ich.«
»Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich dich anrufe«, sagte er. »Aber du bist so schnell davongelaufen, dass ich keine Möglichkeit hatte, dich zu fragen, ob du … nun ja … wenn es dir nichts ausmacht … wenn wir uns noch mal sehen könnten. Ich meine, für den Fall, dass du Zeit hast.« Erleichterung und Glück durchströmten mich.
Wie es in einer bekannten Redensart heißt: Die Dummen sterben nie aus.
»Ja«, sagte ich atemlos. »Sehr gern.«
»Es war so schön«, sagte er.
Ich glühte vor Glück und Stolz.
»Fand ich auch«, gab ich zurück.
»Was hast du morgen vor?«, fragte er.
Morgen, dachte ich. Mein Gott, hat der’s eilig.
»Morgen wollte ich in der Stadt was zum Anziehen kaufen«, sagte ich. Das war mir selber neu. Es war das Erste, was ich davon hörte.
»Wir können uns zum Kaffee treffen, wenn du magst«, schlug ich ihm vor. »Aber ich muss Kate mitbringen.«
»Wunderbar«, sagte er und klang ganz begeistert. »Das wäre schön. Kate ist so ein süßes Geschöpf.«
»Bis dann«, sagte ich und war ein wenig erstaunt über seine Begeisterung.
Andererseits, ziemlich raffiniert von mir. Wenn er Kate so gern hat, könnte ich ihn vielleicht beim nächsten Mal als Babysitter engagieren, wenn ich mir mit Laura einen antrinken will. Aber ich musste mir eingestehen, das Schönste bei meinem Kneipenbesuch mit Laura war Adam gewesen. Wir verabredeten uns also für den folgenden Tag in der Stadt.
Ich ging wieder zu meiner Mutter hinein.
»Wer war das?«, fragte sie mit einem Blick auf mein gerötetes, glückliches Gesicht.
Ich machte den Mund auf, um es ihr zu sagen, muss aber zugeben, dass ich am letzten Hindernis verweigerte. Ich brachte es einfach nicht fertig. Ich wusste wirklich nicht, warum. Möglicherweise wusste ich es aber doch. Möglicherweise
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